80„Bis vor wenigen Jahrzehnten fand man noch Zeit und Muße, in einem Tagebuchfroh verbrachte Stunden ausführlich zu schildern, man baute dem Gedächtnisgleichsam eine Stütze. Heute in der Zeit des Hastens und Drängens finden wirdiese Muße nicht mehr, aber für das Tagebuch haben wir einen Ersatz, der weitmehr als jenes gestattet, Momente des Jetzts für alle Zeiten festzuhalten. Es istdies die Camera, die uns die Züge lieber Freunde bewahren hilft, die uns dieBilder der Jugendzeit bis ins Alter lebensfrisch festhält, es ist die Camera, der wires verdanken, daß uns in der Fremde Bilder aus der Heimat das Stübchen traulichgestalten, und die uns ermöglicht, den Genuß einer schönen Reise stets wiederaufzufrischen.“Neben dem Privatleben der Menschen ist es auch der aufkommende Fremdenverkehr, der die Amateurfotografie zu verbreiten hilft. Viele Touristenführen auf ihren Reisen Fotokameras mit sich, um die schönsten Eindrückefestzuhalten und über die Zeit hinweg zu bewahren. Von professionellenFotografen werden die Touristen jedoch abfällig„Knipser“genannt. Derpreußische Hoffotograf Georg Pflaum fällt ein vernichtendes Urteil über sieund ihre Art des Fotografierens, wenn er schreibt:„Die Momentaufnahmeist die erste und wohl auch niedrigste Stufe der Amateur-Photographie. Siebildet so recht das weite Gebiet des Wald- und Wiesenknipsers, vor dessenMomentverschluss nichts sicher ist, so lange der Plattenvorrat reicht.“Richtig gute Bilder, so Pflaum, würden sich nur unter Verwendung eines Stativsmachen lassen, doch ist es gerade das Kennzeichen der Momentfotografie,dass sie ohne Stativ auskommt.Die Ablehnung derKnipserhat aber wohl auch andere als ästhetischeGründe. Es mehren sich die Beschwerden professioneller Fotografen übereinen stetigen Geschäftsrückgang. Die immer häufiger anzutreffendenAmateure und Dilettanten decken nicht nur ihren eigenen Bedarf an Fotografien selbst, sie wildern auch im Revier der Berufsfotografen. Letzterefürchten die Konkurrenz, die sich zunehmend in Amateurfotografen-Vereinen organisiert. Im österreichischen Handelskammerbericht für das Jahr1895 wird der Aufschwung der Amateurfotografie unmittelbar für denRückgang bei den Aufträgen der Berufsfotografen verantwortlich gemacht.Viele Amateure und Dilettanten würden entgeltlich oder unentgeltlich fotografische Arbeiten erledigen, welche früher Berufsfotografen vorbehaltengeblieben wären. Mehr oder weniger anspruchsvoll würden vom Einzelporträt bis zur Gruppenaufnahme alle Genres bedient, oft„bis zur Sättigungder Bedürfnisse“.Damit nicht genug, muss man konstatieren, dass sich dasPublikum dem Amateur gegenüber in seiner häuslichen Umgebung oft sonatürlich präsentiere, dass die Amateuraufnahme einen besonders realisti-