27Die Fotografie findet im Porträt jedenfalls ihre erste bedeutende Aufgabe. Ihr Aufschwung wird hauptsächlich der„Eitelkeit und Eigenliebe derMenschen“zugeschrieben. Anders als beim stundenlangen Modellsitzenbei der Herstellung eines Ölgemäldes braucht man beim Fotoporträt zudemnur wenige Minuten lang stillzusitzen, um das gewünschte Bild von sich zubekommen. MitVoigtländer’s Porträtir-Apparatbedürfe es für ein Porträt ineinem gut ausgeleuchteten Raum zwischen 25 und 40 Sekunden, heißt es.In der Folgezeit sinken aufgrund chemischer Entwicklungen die Belichtungszeiten weiter, was das Fotografieren vereinfacht. Trotzdem bedarf esnach wie vor diverser Hilfsmittel, die bei Aufnahmen in stehender Pose einVerwackeln verhindern sollen. Aus Metall gefertigte„Kopfhalter“zwingendie vor dem Kameraobjektiv posierende Person„streng die gleiche Distanzvom Objektive einzuhalten, was für die Schärfe des Bildes unerlässlich ist“.Allmählich lässt die Popularität der Daguerreotypie im Porträtfach nach.Die Talbotypie – obwohl nicht so scharf wie die Daguerreotypie – erlebtin England wie in Frankreich eine mehrjährige Blütezeit. Von den gewerblichen Fotografen wird so manche Schwäche des Verfahrens zur Stärkeumgemünzt. So heißt es, die oft allzu große Schärfe, die Daguerreotypienanhafte und als störend empfunden werde, würde wegfallen. Angesichtsder steigenden Nachfrage nach erschwinglichen Porträts ist natürlich auchder Umstand bedeutsam, dass Talbotypien deutlich billiger sind als Daguerreotypien. Der Grund für den Erfolg der Talbotypie liegt aber vor allemdarin, dass sie Papiernegative erzeugt, von denen Abzüge gemacht werdenkönnen. Diese können ohne Glasbedeckung in Alben aufbewahrt, aberauch in Briefen mitgesendet werden. Darüber hinaus können vom Negativ jederzeit neue Abzüge hergestellt werden,„nach Jahren noch genau inderselben Schönheit wie das erste Bild“.Die Aufnahmen auf Papier erlauben zudem nachträgliches Kolorieren, was nicht zuletzt bei Porträts einenbedeutenden Vorzug darstellt. In Wien eröffnen 1847 zwei Porträtmaler einsolches Atelier, was dieWiener Allgemeine Theaterzeitungmit dem Hinweisauf besagte Vorzüge kommentiert. Der Künstler könne ein Talbotypie-Porträt noch nachträglich veredeln, indem er unschöne Details wie Falten ausder Aufnahme entferne.Die Grenzen zwischen dem fotografischen Porträt und dem überkommenenPorträtgemälde sind fließend. So werden Fotografien manchmal als Vorlagen für Porträtgemälde verwendet oder fotografische Porträts mit Aquarellfarben aufgeputzt. Fotoateliers suchen über Stellenanzeigen in ZeitungenPorträtmaler, sei es, um kleine Fehler in der Aufnahme durch Retuschierung