90gegen Ende des 18. Jahrhunderts erfunden oder vielleicht besser entdeckt.Die kalkhaltigen Quellen des ca. 70 km südöstlich von Siena gelegenenBagno San Filippo lieferten den Werkstoff Calciumcarbonat zu einer künstlerischen Technik, die, wie der Architekt und Bildhauer selbst schreibt, ganzohne Skalpell oder Feile auskommt. Denn jeder Gegenstand, den mandem nahezu milchigen Wasser aussetzt, wird sich mit einer weißen Krusteüberziehen. Die derart entstandenen Kunstwerke wurden als„Plastica deiTartari“(Relief aus Kalksteinbelägen) bekannt.Auch in Frankreich gibt es eine Quelle, die die besten Voraussetzungen fürKalk-Inkrustationen bietet. Das Stück, das 1844 auf der Industrieausstellungin Paris gezeigt wurde, hatte die Weiße und Transparenz von Elfenbein undden Glanz bzw. Schmelz von Porzellan, so besagt es der Text auf der Rückseite des Exponats. Der Kalk der Quellen der„Grottes du Cornadore“ desca. 460 km südlich von Paris und 200 km westlich von Lyon gelegenen OrtesSaint-Nectaire in der Auvergne hatte das Relief hervorgebracht.Um eine reliefartige positive Form, eine„Sinteroplastik“ zu erhalten,bedarf es einer modelartigen spiegelverkehrten Negativform, die demMineralwasser ausgesetzt wird. Früher verwendete man neben anderenMaterialien etwa Guttapercha; heute bestehen die Formen für die Basreliefs aus Kunststoff. Denn am selben Ort wie vor eineinhalb Jahrhundertenwerden nach wie vor Kalk-Inkrustationen erzeugt.Noch ein letztes Mal soll es um Form und Material gehen. Es scheint gewagt, wenn nicht gar ein wenig unglücklich, ein Format wie das„Abendmahl“ in eine runde Form einpassen zu wollen. Dennoch geschehen istes in den Eisengusswerken des frühen 19. Jahrhunderts, indem man dasberühmte Gemälde nicht nur in rechteckige Reliefs, sondern auch in rundeMedaillons gegossen hat(Abb. 78). Das Ergebnis wirkt durch die extremeFormgebung ein wenig gestaucht, die Abbildung wurde auf ein Seitenverhältnis von nur mehr 1: 1,6 zusammengeschoben. Der verbleibende freieRaum ist durch zwei kleine Medaillons im Medaillon ausgefüllt, von denendas eine das Porträt des Meisters und den Schriftzug LEONARDO DAVINCI zeigt, das andere die Worte SECOLO DECIMO QUINTO. Und inder Tat wurde das Gemälde gegen Ende des 15. Jahrhunderts ausgeführt.Die extreme Darstellungsart – das Eckige muss ins Runde – findet sich ebenfalls auf einer schwarzen Tabakdose mit Deckel, über deren Herkunft nichtsbekannt ist(Abb. 79). Aufgrund ihrer großen Ähnlichkeit mit einem kleinenKonvolut gepresster Horndosen, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-