112 zu ihrem eigentlichen Ursprung. Denn wer denkt heute schon an Raffael, wenn er den beiden Spitzbuben allerorten begegnet? Das Jahr 1983 hielt für die Kunstwelt und alle Kunstliebhaber eine Überra­schung bereit. Das berühmte Gemälde, das ursprünglich für den Hochaltar der Klosterkirche San Sisto in Piacenza angefertigt worden war, nach dem hl. Sisto(Sixtus) benannt ist und sich heute in derGemäldegalerie Alte Meister Dr esden befindet, wurde geröntgt und brachte Erstaunliches zu Tage: Die beiden Lauser, die sich so profan und respektlos am unteren Bildrand lümmeln, waren erst nachträglich in das bereits fertige Gemälde eingefügt und auf einen durchgehenden Wolkenhintergrund aufgemalt worden. Bis heute bleibt die Wissenschaft den Nachweis schuldig, ob die Engel von Raffael selbst oder von anderer Hand später ins Bild eingefügt wurden. Der Popularität der beiden hat das keinen Abbruch getan. Beim Farbholzschnitt oben(Abb. 103) handelt es sich um ein Hochdruck­verfahren, bei dem alle zu druckenden Teile spiegelverkehrt alshohe Stege oder Inseln aus dem Holz herausgeschnitten werden. Jede Farbe benötigt eine eigene Druckplatte, die nur jene Partien der Zeichnung enthält, die in dieser Farbe gedruckt werden sollen. So werden alle Farben nacheinander gedruckt, bis das vollständige Bild fertig ist. Kaum hatten sichRaffaels Engel verselbständigt, tauchen sie auch schon auf Alltagsgegenständen auf, etwa auf zwei Keramiken, wie sie von der Technik her unterschiedlicher nicht sein könnten(Abb. 104 und 105). Die Teeschale aus dem böhmischen Schlaggenwald(Horní Slavkov) ist handbemalt und vergoldet. Die Untertasse aus Wien ist dagegen mit Kupferstichen bedruckt. Beim Kupferstich handelt es sich um ein Tief­druckverfahren, bei dem alle zu druckenden Linientief in die Metallplat­te hineingeschnitten werden. Das Verfahren, solche Kupferstiche nicht nur wie üblich auf Papier, sondern auch auf Keramik zu drucken, das Georg Martini in den 1840er Jahren weiterentwickelt hatte, ist weiter oben bereits ausführlicher besprochen worden(vgl. Abb. 14 und 15). Auch eine weitere Produktionstechnik wurde schon vorgestellt: die Galvanoplastik(vgl. Abb. 20). Es verwundert nicht, dass immer, wenn ein neues Herstellungsverfahren entwickelt wurde und im Kunsthandwerk An­wendung fand, auch ein Rückgriff auf bekannte und berühmte Bildinhalte stattfand, um mit der neuen Technik zu reüssieren. So ist es auch Raffaels Engeln ergangen(Abb. 106).