65 Dünkirchen an der Kanalküste einen großen Teil der Truppen der Alliierten ein, darunter belgische Einheiten, drei französische Armeen und das ganze britische Expeditionskorps. Es droht eine vernichtende Niederlage. Hinter den militärischen Erfolgen der Deutschen stehen kryptografische. Die Chiffrierstelle in Berlin liest französische Funkchiffren mit, wodurch die deutsche Führung über alle maßgeblichen Vorgänge und Zustände in der französischen Armee im Bilde ist, über Gliederung und Bewaffnung, über Schwachstellen der Maginotlinie, über die Stimmung unter den Soldaten und in der Bevölkerung, aber auch über Bewegungen der britischen Trup­pen am Kontinent. Im Gegensatz zu den deutschen Kryptologen, die wertvolle Information über den Gegner liefern, verfügt Bletchley Park in diesen Tagen über keine Möglichkeit deutsche Funksprüche zu entschlüsseln. Die Bombe arbeitet nicht schnell genug und es fehlt zumeist an brauchbaren Cribs, weshalb fieberhaft nach anderen Methoden gesucht wird. Immerhin kann man sich eine altbekannte Nachlässigkeit deutscher Funker zu­nutze machen. Obwohl es ihnen ausdrücklich untersagt ist, verwenden manche von ihnen gelegentlich noch immer gleiche Schlüsseleinstel­lungen für mehrere Funksprüche, oder aber wählen der Einfachheit halber Kurzworte als Spruchschlüssel oder drei auf der Tastatur neben­einander oder untereinander liegende Buchstaben. Solche simplen Kombinationen, die sich mit etwas Glück bzw. durch systematisches Durchprobieren erraten lassen, werden in Bletchley ParkCillis genannt. Sie treten umso häufiger auf, je größer das deutsche Funkver ­kehrsaufkommen insgesamt wird. Einem genialen Einfall des 21jährigen Studenten John Herivel ist der neuerliche Einbruch in die Enigma zu verdanken. Herivel denkt schon seit geraumer Zeit darüber nach, wie deutsche Funker ihre Maschinen wohl in Betrieb nähmen. Stellen sie zuerst die Ringe an den Walzen ein, um die Walzen danach in die Maschine einzusetzen? Oder justieren sie die Ringe erst auf den bereits eingesetzten Walzen? In letzterem Fall bestünde eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Schlüssler nach dem Einstellen der Ringe durch nur geringfügiges Verdrehen der Walzen zur ersten Grundstellung des betreffenden Tages gelangen würden. Dies würde bedeuten, dass bei frühen, kurz nach dem mitternächtlichen Schlüsselwechsel aufgefangenen Funksprüchen die Ringstellungen in der Nähe der Grundstellungen liegen müssten, und da die Grundstellungen bei jedem Funkspruch in Klarbuch­staben aufscheinen, ließe sich dieser Bereich verorten. Herivels Theorie stößt bei den Verantwortlichen auf Zustimmung. Die Funkhorcher in den Horchstationen werden angewiesen, sich besonders der ersten Funksprüche nach Mitternacht anzunehmen. Und tatsächlich