Das letzte Geheimnis der Enigma 113 Die schweren Rückschläge nähren auf deutscher Seite seit geraumer Zeit Zweifel an der Schlüsselsicherheit. Ein 1942 in der„Chiffrierabteilung des Oberkommandos der Wehrmacht“ ins Leben gerufenes Referat zur„ Sicherheit der eigenen Chiffrierverfahren“, geleitet von dem Mathematiker Karl Stein, führt eine umfassende Überprüfung durch. An deren Ende zieht Stein eine nüchterne Bilanz. Nicht alle zum Einsatz kommenden Verfahren seien sicher, zumal man fehlerfreie Anwendung nicht voraussetzen dürfe. Mit Schlüsselfehlern und Verstößen gegen Vorschriften sei immer zu rechnen. Unterlagen, Vorschriften und Gerätschaften seien nicht dauerhaft geheimzuhalten, könnten dem Gegner durch Erbeutung, Verrat oder Rekonstruktion aus dem chiffrierten Funkverkehr jederzeit zufallen. Man müsse deshalb immer vom schlimmsten Fall ausgehen, wonach der Gegner über eine gute Kenntnis des Schlüsselverfahrens und über Hilfsmittel zu dessen Kompromittierung verfüge. Stein plädiert für eine Art Grundmisstrauen im Gegensatz zum weit verbreiteten Grundvertrauen in die Enigma und ihre Möglichkeiten. Tatsächlich haben Anwendungsfehler und Nachlässigkeiten deutscher Schlüssler und Funker den Alliierten in den vergangenen Jahren wichtige Ansatzpunkte für ihre Entschlüsselungsmethoden geliefert. Den Verantwortlichen auf deutscher Seite ist es nicht gelungen, die Schwachstellen zu beseitigen. Das hat auch damit zu tun, dass die Organisation des Chiffrierwesens lange Zeit zwischen diversen Behörden und den drei Wehrmachtteilen zersplittert gewesen ist und nicht einmal eine gemeinsame Kontrollinstanz existiert hat. Daneben sind aber auch systemische Fehlleistungen aufgetreten, so etwa der doppelt gesendete Spruchschlüssel oder die Weiterübermittlung desselben Spruchtexts in anderen Schlüsselkreisen sowie vor allem die Wiederholung stereotyper Phrasen und Begriffe über längere Zeiträume hinweg, die den alliierten Kryptologen immer wieder zu Einbrüchen in aktuelle Schlüssel verholfen haben. Verstöße gegen die Schlüsselsicherheit resultieren sowohl aus Kompetenzdefiziten der Schlüssler im Einsatz an den Kriegsschauplätzen, als auch des für die 45 Am Ende – eine zerstörte Enigma
Dokument
Geheimsache Enigma : Geschichte und Kryptologie der legendären
Verschlüsselungsmaschine / Wolfgang Pensold, Otmar Moritsch
Seite
113
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