69 Lise Meitner (07. 11. 1878 bis 27. 10. 1968) Anerkannte Wissenschaftlerin ohne Nobelpreis Die Physikerin Lise Meitner, die mit Koryphäen ihres Fachs zusammenar­beitete und maßgeblich zu revolutionären wissenschaftlichen Erkennt­nissen beitrug, ist fast schon das klassische Beispiel für den sogenannten Matilda-Effekt. Benannt ist dieser nach der Frauenrechtlerin Matilda Joslyn Gage, die dieses Phänomen bereits Ende des 19. Jahrhunderts charakteri­sierte:Der Matilda-Effekt beschreibt die systematische Verdrängung und Leugnung des Beitrags von Wissenschaftlerinnen in der Forschung, deren Arbeit häufig ihren männlichen Kollegen zugerechnet wird. 14 Der Effekt wurde 1993 von der Wissenschaftshistorikerin Margaret W. Rossiter postu­liert und trifft auf die Wissenschaftlerin Lise Meitner in ihrer Zusammenar­beit mit Otto Hahn im Besonderen zu. Laut Rossiter ist dieser Effekt durch die vergangenen Jahrhunderte immer wieder dort zu beobachten, wo die patriarchalisch geprägte Wissenschaftskommunikation die Leistungen von Frauen negierte. Was wurde Lise Meitner als Wissenschaftlerin verwehrt? Anerkennung als Physikerin für ihre lebenslange Forschung auf dem Gebiet der Kernspal­tung oder auch die höchste wissenschaftliche Auszeichnung, der Nobel­preis? Mit diesem wurde der Chemiker Otto Hahn für die Entdeckung der Spaltung schwerer Atomkerne ausgezeichnet. Sie hingegen wurde als der wissenschaftlicheAppendix ihres Kollegen Otto Hahn gesehen ihrem wissenschaftlichen Partner in einer 30-jährigen gemeinsamen Forschungs ­arbeit zum Nachweis der Transurane. 15 () Dass Hahn den Nobelpreis voll verdient hat, ist kein Zweifel. Aber einiges Drum und Dran war viel­leicht etwas ungerecht gegen Otto Robert und mich. Der Artikel im D.N. () war fast beleidigend, ich bin doch wirklich nicht nur Mitarbeiterin von Hahn gewesen(). 16 Oft war dies das Schicksal herausragender Frauen, die partnerschaftlich mit ihren Kollegen auf Augenhöhe zusammenarbeiteten, jedoch nicht in das zeithistorische Bild einer selbstständig denkenden und wissenschaft­lich arbeitenden Frau passten. Schon Dr. Paul Möbius schrieb 1903, dass es das Höchste sei,wenn ein Weib sich derart als guter Schüler beweist, dass sie im Sinne des Lehrers die von ihm erlernte Methode handhabt. Lise Meitner, um 1900