89 Die Architektin Margarete Schütte-Lihotzky (23. 01. 1897 bis 18. 01. 2000) Erste österreichische Architektin mit Kampfgeist Zwölf Auszeichnungen, fast ebenso viele Ehrenmitgliedschaften und Dok­torate wurden der ersten Wiener Architektin in ihrem beruflichen Werde ­gang zuteil. Planen, Bauen, das Ohr am Nerv der Zeit und politisch aktiv! Margarete Schütte-Lihotzky war Architektin für jene Bevölkerungsschicht, die drin­gend Wohnraum zu günstigen Preisen benötigte: Wohnungen nach den Bedürfnissen von ArbeiterInnen ausgerichtet, ohne nutzlosen Kleinkram, einfach, praktisch, gut sauber zu halten, jedoch mit technischem Komfort. Rationalisierung der Hauswirtschaft und ihre Umsetzung im Wohnbau, das war ihr Leitthema. Oft mit den ihr zugedachtenweiblichen Architekturthemen hadernd, setzte sie in der Planung neue Maßstäbe, indem sie den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Konzepte stellte. So nahm sie sich u. a. der Situati­on alleinstehender erwerbstätiger Frauen an, die oft gezwungen waren, möbliert zu wohnen, da sie sich keine eigene Wohnung leisten konnten. Wenn sie eine Wohnung besaßen, mussten sie ihre karge Freizeit oft für deren Instandhaltung verwenden. Es war das frühe Konzept einer sinnvol­lenWork-Life-Balance, das der Architektin vorschwebte. Auguste Fickert, die starke Persönlichkeit in der Frauenbewegung, grün­dete 1893 denAllgemeinen österreichischen Frauenverein, der den linken Flügel der damaligen österreichischen Frauenbewegung repräsen­tierte. Sie plante einen Genossenschaftsbau für alleinstehende Frauen. Nach ihren Plänen wurde 1911 der Heimhof alsEinküchenhaus in der Peter-Jordan-Straße 32–34 im 19. Bezirk errichtet.Der Heimhof stellt eine Besonderheit innerhalb der Wohnanlagen desRoten Wien dar, weil er in seiner ursprünglichen Form nicht auf einer sozialdemokratischen Initiative, sondern auf bürgerlich-liberalen Ideen beruht. 1 Margarethe Schütte-Lihotzky. Fotografie um 1935 © IMAGNO/Austrian Archives