91 So simpel das Stichwortverfahren erscheinen mag, es stellt ein sehr effektives Instrument dar, um Angehörigen eines Funknetzes augenblicklich einen neuen Schlüssel zu geben, wo auch immer sie sich gerade aufhalten. Doch ein derartiges Notsystem ist angesichts der zunehmenden Bedrohung nicht mehr ausreichend. Vielmehr scheint nun dringend nötig, das Enigma-Schlüsselverfahren insgesamt aufzurüsten. Die Tage seiner Unangreifbarkeit sind vorüber. Im Januar 1942 tritt ein umfassendes Kurzsignalverfahren in Kraft, das verschiedene Vorläuferverfahren ersetzt. Auf nunmehr 120 Seiten deckt das neue„Kurzsignalheft“ mit seinen Phrasen einen großen Bereich an Themen ab, die für den Seekrieg relevant sind – von der Feindlage über Treffen mit Versorgungsbooten bis zu Angaben zur Position gemäß Planquadraten oder zu Kurs und Geschwindigkeit. Den Phrasen sind jetzt vierstellige Buchstabengruppen(„Signalgruppen“) zugeordnet, die an ihrer Stelle gefunkt werden müssen, und zwar zwischen ein und sechs je Funkspruch. Vor dem Absetzen werden diese Gruppen samt zusätzlichen Gruppen für Position und Identität des Absenders auf der Enigma chiffriert. Der dabei zu verwendende dreistellige Spruchschlüssel ist – wie die ebenfalls dreistellige, zugehörige Kenngruppe – aus einem vorgedruckten„Kenngruppenheft“ auszuwählen, das hunderte solcher Kenngruppe-Spruchschlüssel-Kombinationen bereithält. Damit nicht genug, lässt Dönitz für die U-Boote am Atlantik anlässlich einer geplanten Offensive einen vollkommen neuen Schlüsselkreis„Triton“ einführen. Das Besondere daran ist, dass es sich um einen vierstelligen Schlüssel handelt, der auf einer Enigma neuen Typs mit einer vierten Walze basiert. Bei dieser Maschine ist die bisher verwendete Umkehrwalze durch eine dünnere Version B ersetzt, die noch Platz für eine dünne vierte Schlüsselwalze Beta lässt. Diese vierte Walze kann zwar ebenfalls 26 Dreh stellungen einnehmen, sie dreht sich jedoch nicht wie die ersten drei im Übertragsgetriebe mit, sondern verharrt in der Stellung, in der sie einge setzt worden ist. Sie kann ihrer geringeren Dicke wegen auch nicht gegen die anderen drei Walzen getauscht werden. Wird ihr Ring auf Z eingestellt und sie so an die zugehörige Umkehrwalze angefügt, dass im Sichtfenster ein A erscheint, funktioniert sie wie die alte Umkehrwalze. In dieser Stellung kann auch mit herkömmlichen Dreiwalzen-Enigmas kommuniziert werden. Schon seit geraumer Zeit sind die Atlantik-U-Boote mit der neuen Vierwalzenmaschine ausgestattet, doch haben sie diese bislang nur im Dreiwalzenmodus benutzt. Abgesehen davon, dass Hut Eight von deren Existenz schon vor geraumer Zeit aus Beuteunterlagen erfahren hat, ist diese Vorgangsweise nicht ohne Risiko. Durch unachtsame deutsche Schlüssler, die
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Geheimsache Enigma : Geschichte und Kryptologie der legendären
Verschlüsselungsmaschine / Wolfgang Pensold, Otmar Moritsch
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