106 neutralisiert. Als die Deutschen mit 1. Juli 1943 für die Enigma M4 eine zusätzliche Umkehrwalze C samt einer neuen schmalen vierten Walze Gamma in Verwendung bringen, gelingt es den Briten durch Reenciphering innerhalb weniger Wochen die Verdrahtung der neuen Walzen zu rekonstruieren und damit wieder in Shark einzubrechen. Und der kryptografische Mehrwert, der darin liegt, dass die Walzen B und Beta sowie C und Gamma auch wechselweise miteinander kombiniert werden können, ist dahin, als die Briten erkennen, dass die deutsche Seite die vierte Walze immer einen ganzen Monat lang in Betrieb lässt. Gelingt es, in den aktuellen Schlüssel einzubrechen, haben sie für den Rest des Monats vergleichsweise leichtes Spiel. Gewisse Probleme bereitet Hut Eight der phasenweise Rückzug der U-Boote aus dem Nordatlantik, denn mit den Booten verschwinden die gefunkten Kurzsignale, die die Cribs liefern. Man versucht deshalb gelegentlich, Cribs selbst zu erzeugen, etwa, indem man ein Flugzeug beordert, an einem bestimmten Ort vor der gegnerischen Küste Seeminen zu legen. Hinter dieser Methode, die„Gardening“ genannt wird, steht die Erwartung, dass in dem deutschen Funkspruch, der dieses Geschehnis der vorgesetzten Dienststelle meldet, das Wort„Seemine“ vorkommt. Fängt man besagten Funkspruch auf, verfügt man über ein Crib. Derartige Tricks werden indes verzichtbar, als man entdeckt, dass eine deutsche Wetterstation in der Bucht von Biskaya an den Anfang ihrer regelmäßigen Funksprüche stereotyp die Phrase„Wetter Vorhersage Biskaya“ setzt und damit Tag für Tag und über Monate hinweg ein ideales Crib liefert. Die Entzifferungserfolge basieren natürlich auch darauf, dass die Briten mittlerweile über Dutzende Bombes verfügen, was die Lösung der gestellten Aufgaben, verglichen mit früheren Phasen des Krieges, deutlich erleichtert. Man hat eine umfassende Maschinerie zur Verfügung, wenngleich die wertvollen Maschinen nicht mehr in Bletchley Park arbeiten. Um das Risiko der Zerstörung durch deutsche Luftangriffe zu minimieren, sind sie samt den hunderten Frauen vom Women´s Royal Navy Service, die zu ihrer Bedienung nötig sind, in diversen Orten in der Umgebung wie Stanmore, Eastcote oder Gayhurst untergebracht worden. Zu Bletchley Park wird über Telefon- und Telegrafenverbindungen Kontakt gehalten. Was die Bombe-Kapazitäten angeht, bietet vor allem auch die Entwicklung in den USA Grund zur Zuversicht. Mittlerweile sind die ersten beiden Hochgeschwindigkeits-Bombes, die die Namen„Adam“ und „Eve“ tragen, in Betrieb gegangen. Sie bestehen jeweils aus 400 Vakuumröhren, 16 Walzensätzen mit 64 verdrahteten Bakelitwalzen und
Dokument
Geheimsache Enigma : Geschichte und Kryptologie der legendären
Verschlüsselungsmaschine / Wolfgang Pensold, Otmar Moritsch
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