115 Stecker, wie es der Geheimdienst benutzt, genüge zeitgemäßen Sicherheitsansprüchen nicht mehr, weil es mit maschinellen Hilfsmitteln in kurzer Zeit gebrochen werden könne. Eine mechanische Aufrüstung, die dies verhindert, scheint nicht durchführbar. Deshalb sollen Nachrichten fortan vor dem Chiffrieren mit der Maschine mithilfe eines anderen Verfahrens vorchiffriert werden, um die Sicherheit wiederherzustellen. Die Stecker-Enigma des Heeres könne zwar auch gebrochen werden, aber nur mit erheblichem maschinellen Aufwand. Am sichersten erscheint die Marineausführung mit ihrem komplexeren Schlüsselverfahren, obgleich auch sie theoretisch angreifbar sei. Man hat die Notwendigkeit erkannt, grundlegende Änderungen durchzuführen. Dabei setzt man zunächst auf der Ebene der Schlüssel an. Es treten neue„Allgemeine Schlüsselregeln für die Wehrmacht“ in Kraft, in die so manche Erfahrung der vergangenen Jahre eingeflossen sind. So solle eine fundierte Ausbildung des Schlüsslerpersonals vermeiden helfen, dass Flüchtigkeitsfehler den Nachrichtenverkehr verzögern oder dem Gegner erlauben, in die Schlüssel einzubrechen. Darüber hinaus gibt es konkrete Anweisungen, die der Vermeidung früherer Fehler gelten. Beim Verfassen von Nachrichten seien Regelmäßigkeiten sowie gleichlautende Redewendungen und Wiederholungen im Text zu vermeiden. Die Nachricht müsse gänzlich neu formuliert werden, wenn sie in unterschiedlichen Schlüsselkreisen versendet werden solle, wenn derselbe Spruch nach einem Fehler neu verschlüsselt werden müsse, aber auch, wenn ein Spruch an einen Empfänger mit einem anderen Schlüssel weiterzuvermitteln sei. Besondere Aufmerksamkeit wird der Geheimhaltung von Schlüsselmaschinen und Unterlagen gewidmet sowie der Überwachung und Einschwörung des Personals samt eindringlichem Verweis auf die bei Verstößen anzuwendenden Gesetze und drohenden Strafen. Beim Heer tritt eine Regel in Kraft, wonach der Funkverantwortliche aus einem beliebigen Buch einen Text auswählen und ihn auf der Enigma bei Walzenlage I, II, III und Ringstellung 01, 01, 01 bei willkürlichen zehn Steckerverbindungen chiffrieren soll. Die entstehenden Chiffren sind in Sechsergruppen in eine Spruchschlüsselliste einzutragen und nacheinander zu verwenden. Dabei dienen die ersten drei Buchstaben als Grundstellung und die letzten drei als Spruchschlüssel. Solche willkürlich erzeugten Schlüssel sollen Einbruchsversuchen seitens Außenstehender besser widerstehen als frei gewählte, weil sie Häufungen besonderer Buchstabenkombinationen vermeiden. Für lange Funksprüche werden Unterbrechungen angeordnet. Zwischen dem 70. und dem 130. Buchstaben eines Spruchs ist die linke Walze um eine variable Zahl an Schritten zu verdrehen, bevor der Verschlüsselungs-
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Geheimsache Enigma : Geschichte und Kryptologie der legendären
Verschlüsselungsmaschine / Wolfgang Pensold, Otmar Moritsch
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