90KohleKohlenstoff widersteht vielen Chemikalien sowie hohen Temperaturen undleitet elektrischen Strom. Natürliche Kohle ist aber mit anderen Substanzen vermengt und weist eine geringe Dichte auf. Um künstliche Kohle zugewinnen, wurde das natürliche Rohmaterial gepulvert und gereinigt, miteinem Bindemittel gemischt und anschließend gepresst sowie geglüht. Indieser Form eignete sich die Kohle für viele Prozesse, die mit Elektrizitätund Wärme verbunden waren.1872 gründete Albert Lessing in Nürnberg die erste Fabrik zur Erzeugungkünstlicher Kohlen in Deutschland. Ende der 1870er Jahre errichteten dieBrüder Siemens in Charlottenburg bei Berlin ein weiteres Werk. In Wienetablierte der Chemiker Josef Julius Hesz bereits 1869 einen Betrieb.Auf der Wiener Weltausstellung bot er Kohlen und Chemikalien für dieElektrotechnik an. 1883 ging in Wien eine Ausstellung zum Stand dieserTechnik über die Bühne. Im gleichen Jahr gründete Franz von Hardtmuthin dieser Stadt eine weitere Fabrik. Er besaß ein großes Unternehmen, dasBleistifte herstellte. Somit konnte er auf Erfahrungen aus der Herstellungkohlenstoffhaltiger Bleistiftminen zurückgreifen. Hardtmuth verwendeteals einer der Ersten die hochwertige und dichte Anthrazitkohle als Rohmaterial vor allem für Elektroden. 1896 wurde der Standort in Wien aufgegeben, aber noch im gleichen Jahr gründete Hardtmuth im oberschlesischenRatibor eine neue Fabrik.Kunstkohlen bestanden aus verschiedenen Mischungen und bildeten unterschiedliche Formen, z.B. Kugeln, dünne Platten, Prismen oder Walzen. Mitder industriellen Erzeugung von Kalziumkarbid seit 1894 begann eine regeNachfrage nach Elektroden aus Kunstkohle für viele Bereiche der Elektrochemie. Das Produkt fand ferner Verwendung für Batterien und Mikrofone,Bogenlampen und Glühlampenfäden, zur Auskleidung elektrischer Öfen,zur elektrischen Schweißung sowie für Blitzableiterspitzen, als Schleifkontakte(Bürsten) für Dynamomaschinen und elektrische Straßenbahnen. Um 1900existierten in Europa rund 40 Hersteller, darunter 13 in Deutschland sowie jesieben in Großbritannien und Frankreich. In Wien gab es neben der FirmaHesz die Österreichischen Schuckertwerke, in Schwechat das Unternehmenvon Schiff& Co. Im Ersten Weltkrieg erlangte die Kunstkohle große Bedeutung für die Erzeugung von Karbid, Elektrostahl und Aluminium.Lit.: Amtlicher Catalog 1873, Zellner 1903, Feldenkirchen 2003, Collin 2009