80 Wieviel dieser mehr oder minder bemühtenNormalität im Gedanken ­austausch schuldete sich der vorbeugenden Selbstzensur zum Zweck der gegenseitigen Beruhigung(nicht alles wollte man erzählen), wieviel der allgegenwärtigen Militärzensur(nicht alles durfte man erzählen)? Nur auf einem geringen Teil der 500 archivierten Feldpostkarten prangt der rote StempelaufdruckZensuriert,Zens. oderÜberprüft. An­gesichts der täglichen Masse an Feldpost erfolgte die Sichtung des Geschriebenen schon wenige Wochen nach Kriegsbeginn lediglich stichprobenartig, sowohl bei den offenen Karten als auch den kuvertierten Briefen(die eine Zeitlang nicht verschlossen werden durften). Die systema ­tische Kontrolle der Kommunikation, die auch mit einer Auswertung des Geschriebenen einherging, konzentrierte sich vielmehr auf die Karten und Briefe von Kriegsgefangenen oder solche, die im Zuge der Gefangenen­suche ins Ausland geschickt wurden. Zu diesem Zweck richtete das Kriegs­ministerium in Wien nach Beginn der Kämpfe einen Zensurapparat ein, der 1916/17 riesenhafte Dimensionen erreichte und nicht weniger weitge ­spannt und komplex aufgebaut war wie die Feldpost selbst. Sie will nicht beschränken, sondern helfen, schützen und erkennen: die k.u.k. Zensurabteilung Anders als bei den oben erwähnten Feldpostkarten von Soldaten finden sich Zensur- oder Kontrollstempel auf fast allen Karten und Briefen(insge­samt rund 300 Stück) eines weiteren Archivbestandes, der in Zusammen­hang mit dem Ersten Weltkrieg steht: 45 Es sind Briefe, die Angehörige von in Russland vermissten Soldaten der k.u.k. Armee an den schwedischen Militärarzt Otto Wilhelm von Essen(1857–1916) 46 und an dessen Frau und Tochter schrieben, aber auch Karten aus Kriegsgefangenenlagern an die Familie von Essen. Diese engagierte sich im neutralen Schweden nicht zuletzt aus einer langjährigen Verbundenheit mit Wien heraus entweder in einer privaten Hilfsorganisation oder im Rahmen des Roten Kreuzes bei der Suche nach Kriegsgefangenen aus Österreich-Ungarn und der Kon­taktaufnahme mit russischen Lagern. Kriegsgefangene hatten ein Recht auf Korrespondenz mit der Heimat; das war in der Haager Landkriegsordnung von 1907 festgelegt. Dafür waren sogenannte Auskunftsstellen in ganz Europa zuständig, die mit den ver­schiedenen Rotkreuz-Gesellschaften in Verbindung standen. Sie erfassten die Personaldaten der Gefangenen und vermittelten deren Postkontakte