88beliebtes Buch zu instrumentalisieren, zumal der Struwwelpeter längst eineInstanz in der Vermittlung von Tugenden und moralischen Werten war. Tatsächlich war die Idee, die allseits vertraute Figur unter rezenten politischenVorzeichen zu interpretieren, nicht neu. Bereits anlässlich der Revolution von1848/49 war in Deutschland Der politische Struwwelpeter erschienen. 1877folgte ein Militär-Struwwelpeter, in dem soldatischer Ungehorsam satirischgegeißelt wurde. Das erscheint aber auch naheliegender als anhand einespädagogisch motivierten Kinderbuchs die abstrakte Idee des Nationalismus vermitteln zu wollen. Es ist zweifelhaft, ob die Botschaft die Zielgruppeerreicht hat. Anders betrachtet ist es jedoch auch fraglich, ob Kinder überhaupt die Zielgruppe einer solchen Publikation sind und nicht eigentlichMittler für die Erwachsenen, die ihnen das Buch vorlesen.Man kann aber davon ausgehen, dass weder Olszewski noch der HolbeinVerlag, in dem der Kriegs-Struwwelpeter erschien, unmittelbar dieAdressaten vor Augen hatten, als sie das Buch produzierten. Es galt wohlvor allem, eine Antwort auf eine englische Parodie auf Kaiser Wilhelm zugeben, die bereits 1914 erschienen war. Unter dem Titel Swollen-headedWilliam wurde da antideutsche Kriegspropaganda betrieben. Der deutsche Kaiser trat in den Rollen der Struwwelpeter-Figuren auf und machtesich zum Gespött. Der geschwollene Kopf auf dem Titelbild ist lediglichdem Gedanken geschuldet, eine möglichst große Übereinstimmung mitdem Titelbild des Original-Struwwelpeter zu erzielen. Dort zeichnet sichdie Figur unter anderem ja durch ihre nach allen Seiten abstehendenHaare aus. Die englische Parodie war bereits fünf Tage nach ihrer Veröffentlichung am 1. Oktober 1914 zum zweiten Mal aufgelegt worden. Nochim selben Jahr waren insgesamt fünf Auflagen erschienen. Weitere sindallerdings nicht bekannt. Die englische Version will jedenfalls Wilhelm II.verunglimpfen und nicht so sehr die Deutschen als Nation. Ganz andersdie deutschsprachige„Antwort“: Im Vergleich zu England, dessen Bündnisdie multinationale Entente war, sah man sich vielen sprachnationalenFeinden gegenüber. Und selbst die Bündnispartner – allen voran ÖsterreichUngarn – galten als zuverlässiger, wenn sie deutsch sprachen. Im Falledes Struwwelpeter hatte sich ein Feind einer traditionsreichen deutschenPublikation bemächtigt, die als deutsches nationales Eigentum betrachtetwurde. Konsequenterweise musste eine nationalistische Antwort gegebenwerden. In diesem Sinne verzichtete man auch auf ein wiedererkennbaresTitelbild. Das Sujet auf dem Cover des Kriegs-Struwwelpeter zeigt„Wilhelm“, der den„Franzmann“,„Mister Grey“ und„Nikolaus“ ins Tintenfasssteckt, weil diese dem braven„Michel“ seinen Fleiß neiden.„So soll esfernerhin auch bleiben/ Als Strafe für ihr böses Treiben.“