90 Lesen und Spielen für den Krieg Im Falle des Struwwelpeter war die englische Parodie das Motiv für die deutsche Umdeutung gewesen. Aber auch ohne einen derartigen Anlass war es durchaus üblich, bekannte und bewährte Sujets im Sinne des Kriegs­patriotismus zu interpretieren. Das gilt sowohl für Kinder- und Jugendlitera­tur 1 als auch für Gesellschaftsspiele und Spielwaren, die unter den Vorzei­chenKrieg,Nationalbewusstsein undVerhetzung nationaler Feinde produziert wurden. Der Kasperl, seit dem 18. Jahrhundert eine satirische Figur mit wandelbarem Charakter, erlebte Kriegsabenteuer auf den Pup­penbühnen. 2 Auch Wilhelm Buschs Max und Moritz, ähnlich populär wie der Struwwelpeter, wurden in den Krieg geschickt. 3 Vom Schwarzen­Peter-Spiel erschienen zwei Versionen mit Kriegsbezug.Schwarzer Peter im Weltkrieg erklärte die Spielidee so:Zum Schlusse bleibt dann noch übrig der bekannte Urheber allen Übels. UndDer Schwarze Peter von Serbien zeigteBildnisse der Führer, Schürer und Verführten. 4 Und an­hand einesWeltkrieg-Quartetts konnte man die Waffen der deutschen und österreichisch-ungarischen Wehrmacht kennenlernen. 5 Varianten vonMensch ärgere dich nicht, das am Beginn des Krieges gerade erst bekannt geworden war, hießenWer wird siegen? und schlichtKriegs­Spiel. Auch die Hersteller traditioneller Spielwaren versuchten in den ersten beiden Kriegsjahren die Begeisterung zu nützen. Käthe Kruse und Steiff brachten feldgrau gekleidete Puppen auf den Markt, und ein Her­steller von Mundharmonikas widmete flugs seine Erzeugnisse um, indem er einfach den darauf gedruckten Schriftzug änderte vonWandervogel inDurch Kampf zum Sieg. 6 Natürlich wurden auch die Soldaten aus Zinn und Blei, die als Spielzeug schon eine längere Tradition aufwiesen, dem Weltkrieg gewidmet. Später dann, als es der Patriotismus verlangte, wurden sie wohl der Kriegsmetall­sammlung überantwortet. Die Baukastenhersteller Anker, Märklin und Matador nahmen Kriegsspielzeug in ihre Sortiments auf. Zahllos sind auch die Kinder- und Jugendbücher, die neben der neu interpretierten Literatur neu entstanden und verlegt wurden. In ihrer Gesamtheit vermitteln die publi­zierte Literatur und die Spiele, die erhalten geblieben sind, den Eindruck von uneingeschränktem Enthusiasmus für den Krieg. Selten nur wurde Kritik da­ran geübt. 7 Selbst derHeldentod wird den lesenden und spielenden Bur­schen vorbehaltlos in Aussicht gestellt. 8 Im Gegensatz zur Zeit der Faschis­men ab den 1930er Jahren gab es auch keine oppositionelle, pazifistische Literatur für die Jugend. 9 Sehr allgemein war die Haltung, dass der Krieg ein großes heroisches Abenteuer, in jedem Fall aber unvermeidbar war.