91Lehr- und WehrstandDas Militär widmete dem Spiel der Knaben große Aufmerksamkeit inHinblick auf deren Erziehung zu Soldaten. Im Spiel nähmen sie„unbewußtVieles vom wirklichen Soldaten an“, ließ das Kriegsministerium vor Beginnder Kämpfe verlauten. Wenn es dem Spielleiter gelänge, eine„kriegsmäßige Spielillusion“ zu erzeugen bzw. eine realistisch wirkende„Kriegsepisode zu erfinden“, dann würden die Knaben„zu Japanern, Türken, Russenund Bulgaren“.10Dass in Vorbereitung des großen Krieges auf die vormilitärische Erziehung der Knaben besonderes Augenmerk gelegt wurde,geht auf eine Allianz zurück, die in den Jahren davor zwischen Schule undMilitär aufgebaut worden war. Ab 1908 wurden beispielsweise Bürgerkunde und Turnen an Schulen unterrichtet, 1910 auch noch Schießübungen inden letzten beiden Jahren des Gymnasiums. Ab Kriegsbeginn wurde dieSchule überhaupt unter die Dominanz des k.u.k. Generalstabs gestellt undals„Kriegsschule“ integraler Bestandteil eines Krieges,„der sich nicht nurauf den Schlachtfeldern ereignete.“11In den Geist eines solchen pädagogischen Konzeptes passt das Beispiel vom Struwwelpeter sehr gut. DieFrage, ob Kinder mit Geschichten etwas anfangen können, die exzessiveinem Nationalismus huldigen, der jenseits ihrer Erfahrungswelt angesiedelt ist, verliert an Bedeutung. Vor allem über die Vermittlung der Schulewurden Kinder wie selbstverständlich in die Heimatfront eingebunden. DerSchriftsteller Elias Canetti(1905–1994) schreibt in seinen Lebenserinnerungen über seine Schulzeit ab Herbst 1914:„alles, woran ich mich erinnere,hängt mit dem Krieg zusammen.“ Er besuchte damals die vierte KlasseVolksschule. Canetti weiter:„Wir bekamen ein gelbes Heft mit Liedern, die sich in dieser oder jenerWeise auf den Krieg bezogen. Es begann mit der Kaiserhymne, die wirtäglich als erstes und letztes sangen. Zwei Lieder im gelben Heft gingenmir nahe: ‚Morgenrot, Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod‘, meinliebstes Lied aber begann mit den Worten: ‚Drüben am Wiesenrad hockenzwei Dohlen‘, ich glaube, es ging weiter: ‚Sterb ich in Feindesland, fallich in Polen‘. Wir sangen zuviel aus diesem gelben Liederbuch, aber derTon der Lieder war gewiß noch erträglicher als die abscheulichen komprimierten Haß-Sätzchen, die bis zu uns kleinen Schülern ihren Weg fanden.‚Serbien muß sterbien!‘ ‚Jeder Schuß ein Russ!‘ ‚Jeder Stoß ein Franzos!‘‚Jeder Tritt ein Britt!‘“12Die Kinder ideologisch zu formen, war der eine Teil der Aufgabe, dieden Schulen im Dienste des Krieges zukam; der andere war ganz prakti-