102Im Jänner 1916 entsandte die Musikhistorische Zentrale den Physiker und Feuerwerker-Kadettaspiranten Leo Hajek, später Leiter desPhonogrammarchivs, um Soldatenlieder zu sammeln und auch Tonaufnahmen herzustellen. Lieder in allen Sprachen der Monarchie solltengesammelt und von allen Offizieren, die mehrheitlich Deutschösterreicher oder Ungarn waren, erlernt werden, um ihnen so den Zugang zummeist anderssprachigen Mannschaftspersonal zu erleichtern. Für dasSammeln ungarischer Lieder waren auch die später berühmt gewordenen Komponisten Béla Bartók und Zoltán Kodaly zuständig.7Mittelsschriftlicher Anweisungen wurden die Liedersammler in den Ersatzbataillonen in allen Ecken der Monarchie angekündigt. Eine Unterstützung der Aktion durch Personen, die der örtlichen Sprache kundig waren, wurde aufgetragen. Die Lieder wurden vor Drucklegung zensuriertund teilweise umgetextet. Die Inhalte sollten Kriegsverherrlichung undVaterlandstreue ausdrücken. Der Feind wurde in den Texten abschätzig behandelt und lächerlich gemacht.Der Krieg sollte, verstärkt durch die Kraft der Musik, nicht nur alsSchrecken und Zerstörer gesehen werden, sondern auch als eine dieMoral reinigende und stärkende, positive Kraft erscheinen. Das Aufeinandertreffen von Amüsement und Pathos war den diversen„Kriegsmusiken“ eigen. Das oft in Kriegsliedern zu findende Narrativ des Soldatenabschieds romantisierte individuelle Lebenssituationen: Ereignissewie der sentimentale Auszug des jungen Mannes aus seinem normalen, zivilen Leben an die Front, die Vorfreude, der nationalistischpatriotische Wille zum Kämpfen, die Traurigkeit, der Abschiedsschmerz, die Angst – all das fand sich in Musik und Liedtexten wieder.Es gab auch Stimmen, die der Überzeugung Ausdruck verliehen, Musikkönne im Krieg über die Frontverläufe hinweg zur Verständigung derVölker innerhalb der Donaumonarchie beitragen.Eine wichtige Figur im Rahmen der Organisation der Sammelaktionenwar Bernhard Paumgartner, neben seiner Tätigkeit für die Musikhistorische Zentrale des Kriegsministeriums von 1914 bis 1917 auch Leiterdes Wiener Tonkünstler-Orchesters und danach des MozarteumsSalzburg. Unter seiner Zuständigkeit entstanden zahlreiche Bände mitSoldatenliedern. Sie sind heute teilweise im Österreichischen Volksliedwerk und der Wien Bibliothek erhalten. Tondokumente liegen imPhonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, einige wurden auf CD publiziert.