75dern können. Somit beschrieb Ida Noddack erstmals die Vorstellung einerSpaltung des Atomkerns. Erst 1938 wurde die Kernspaltung des Urans vonOtto Hahn und Fritz Strassmann radiochemisch nachgewiesen. Ende Jänner 1939 erfolgte durch Lise Meitner und ihren Neffen Otto Robert Frischdie theoretische Beschreibung. Sie errechneten die frei werdende Energie.Der Begriff„Kernspaltung“ war geboren.Zu diesem Zeitpunkt weilte sie bereits als„Emigrantin“, nach einer spontan eingeleiteten Flucht vor dem Naziregime im Juli 1938, in Stockholm.Mit 60 Jahren musste sie hier wieder von vorne beginnen, ohne eigeneBefugnisse und Kompetenzen und ohne jegliche Rechte. Sie hatte durchihre Flucht alles aufgeben müsen, doch ihr Leben war gerettet. Ihr ersterArbeitsplatz war am Nobel-Institut in der Abteilung des NobelpreisträgersManne Siegbahn. Dort fehlte es an den einfachsten Arbeitsgeräten undauch an der Unterstützung durch Laboranten oder Assistenten. Am meisten machte ihr jedoch die wissenschaftliche Untätigkeit zu schaffen.Was wäre, wenn es eine Kettenreaktion gäbe – langsam und gesteuert ineinem Kernreaktor oder ungesteuert in einem Massenvernichtungsmittel?1940 versammelte sich in Los Alamos eine Heerschar von Wissenschaftlernzum„Manhattan-Projekt“, einem militärischen Forschungsprojekt der USAzum Bau einer Atombombe. Auch Lise Meitners Neffe, naiv in politischenDingen, beteiligte sich daran. Otto Hahn, der gegen die militärischeNutzung seiner Entdeckung war, und Lise Meitner mussten jedoch denDingen ihren Lauf lassen.„Hähnchen sei still, von Physik verstehst du nichts“ – so umschrieb siescherzhaft ihre gegenseitige Aufgabenverteilung: sie, die Physikerin, zuständig für das Analytische, er, der Chemiker, für das Experimentelle – sie,die„Mutter der Atombombe“, und er, der Nobelpreisträger für Chemie!In den Jahren nach dem Krieg konnte Meitner wieder in Vorträgen überihre Forschungen berichten, zahlreiche Ehrungen wurden ihr zuteil. 1946erhielt sie in den USA eine Gastprofessur und wurde von amerikanischenJournalistinnen zur Frau des Jahres gewählt. 1960 zog sie sich nachCambridge zurück, hielt aber noch bis zum 86. Lebensjahr Vorträge.Lebenslang blieb sie österreichische Staatsbürgerin, erhielt aber auch dieschwedische Staatsbürgerschaft.In einem 1953 gehaltenen Vortrag mit dem Titel„Die Frau in der Wissenschaft“ reflektierte Lise Meitner ihre anfänglich naive Haltung in der