128 Videos verschieden sehen Die Rezeption ist ein wichtiger Aspekt der Gebrauchsweisen von Home Videos. Aus der Tradition der Amateurfilme einerseits und dem Familien ­album andererseits kommend, wurden diese audiovisuellen Aufnahmen immer und immer wieder angesehen entweder im Kreis der Familie oder auch mit nahen Bekannten oder FreundInnen. Sie dienten unter anderem der Selbstvergewisserung der Zugehörigkeit zur Familie und dem Auffri­schen von Erinnerungen. Oft werden durch das Ansehen erst Erinnerungs ­erzählungen angestoßen und produziert. Die Familie historisiert sich in diesen Medien gewissermaßen selbst. Der Kommunikationswissenschaftler Roger Odin hat jedoch darauf hingewiesen, dass die Filme und Videos von verschiedenen Mitgliedern der Familie sehr verschieden angesehen und interpretiert werden können. 12 Unter Umständen teilen nicht alle die Erzählungen von der glücklichen Vergangenheit, sie erinnern sich daran, was vor oder nach der Aufnahme geschehen ist, etwa wie eine Ehe nach dem Hochzeitsvideo weiter verlief. Wenn wir Home Videos im öffentlichen Archiv oder im Museum als his­torische Spuren vergangener Lebenswelten betrachten, sollten wir auch erforschen, welche Funktionen diese Videos für die Herstellenden, die darin Abgebildeten und die BetrachterInnen erfüllen und sie durchaus auch gegen den Strich lesen. Dabei sollte das Geschlecht als soziale Kategorie ebenso berücksichtigt werden, wie nicht von einer Norm der heterosexuellen weißen österreichischen Mittelschichts-Kleinfamilie aus­gegangen werden kann. Weitere Machtverhältnisse wie entlang der Dif­ferenzierungen Ethnisierung, Sexualität, Rassisierung oder Klasse müssen in der Sammlung, Präsentation und Aufbereitung berücksichtigt werden. In Migrationsgesellschaften wie in Österreich kann Video eine bedeu ­tende selbstermächtigende mediale Praxis sein, in sozialen Bewegungen hat das Video seit den späten 1970er-Jahren bis heute einen enormen Stellenwert. Was Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch anhand von Museen und Ausstellungen umfassend analysiert und aufgezeigt haben, kann auch auf den archivischen und öffentlichen Umgang mit Home Videos umgelegt werden. So habe die Nicht-Reflexion sozialer Differenzen zur Konsequenz, dasswo ein bestimmtes Geschlecht, eine Ethnie oder eine Klasse dominant sind, diese gleichsam als selbstverständlich oder natürlich erscheinen[ wodurch] die gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die den Ausschlussmechanismen und Repräsentationen zugrunde liegen, verschleiert 13 werden. In der expliziten Bezugnahme auf Kategorien wie gender, race oder class stellten die Museologinnen anhand der analy-