16 sichtigen Kunststoffgehäuse zu sehen. Doch die Wimperntusche bewährte sich nicht im Geringsten; nicht nur die Verteilung gelang keineswegs besser, auch die Tusche war von schlechter Qualität und klumpte. Frau M. verwendete sie nicht weiter und kam zur Ansicht, dass das Vibrieren selbst bei einer qualitätsvollen Tusche zu keinem sinnvollen Erzeugnis führen würde. Eine gute Werbestrategie habe es geschafft, eine ungeeignete Technik teuer zu verkaufen. Sowohl Frau M. als auch ihre Freundin, die ebenfalls eine solche Wimperntusche erwarb, beurteilten sie als„Blödsinn“. Strittige Wertschätzung Ein erwiesener Nutzen muss nicht ausreichend für eine ungeteilte Akzeptanz sein, wie am Beispiel des Rasierwassers Pitralon deutlich wird(Inv.Nr. 95192). Denn hier scheiden sich die Geister am Geruch. Entwickelt und als Marke eingetragen wurde Pitralon 1927 in Dresden von Karl August Lingner, einem wichtigen Protagonisten der damals etablierten Hygienebewegung. Alkohol und das geruchsintensive Kampfer sorgten für eine starke desinfizierende Wirkung. In den 1960er-Jahren kam zudem Pitralon Classic auf den Markt, dessen Rezeptur und Duftnoten nur noch wenig mit der ersten Version gemein hatten. Der Schwerpunkt hatte sich von der antiseptischen Wirkung stärker auf die Parfümierung verlagert, mit Zedernholz als tragender Duftnote. Herr L. verwendete das ursprüngliche Pitralon über 50 Jahre lang, allerdings nur kurz als Rasierwasser. Der Grund war der eigentümliche Geruch, der ihn nicht störte, viele Frauen aber schon. So benutzte Herr L. seit seiner Ehe aus Rücksicht auf seine Frau selbstverständlich ein ihr genehmeres Rasierwasser. In der Familie seiner Frau waren schon dem Vater, der auch Pitralon gekauft hatte, zu diversen Anlässen wie Weihnachten andere Rasierwasser mit willkommeneren Düften geschenkt worden. Herr L. fand andere Einsatzmöglichkeiten, um die gute antiseptische Wirkung von Pitralon zu nutzen: als Wundbenzin bzw. als Ersatz für Salizinspiritus, gegen Hautunreinheiten, entzündete Barthaare, vorbeugend gegen Schweißfüße, als Fußpflege bei Wanderungen. Dies war ein gut gelebter Kompromiss; die geschätzte Marke behielt einen Platz im Leben von Herrn L., dominierte aber nicht mehr durch die tägliche Anwendung im Gesicht. Herr L. bedauerte es sehr, als das Produkt mit Originalrezeptur auslief, und kaufte Restbestände auf. Als diese nach zehn Jahren aufgebraucht waren, wollte er die letzte geleerte Flasche nicht wegwerfen. Da er die lange Zeit allseits bekannte Marke als sammlungswürdig erachtete,
Dokument
geliebt - gelobt - unerwünscht : Haushaltstechnik zwischen Wunsch
und Wirklichkeit / Roswitha Muttenthaler
Seite
16
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten