74 Surrogat Zu den bekanntesten Surrogaten zählte der Ersatzkaffee. Echter Kaffee galt zu Recht als Muntermacher, er konnte dazu beitragen, endlose Arbeitszeiten besser zu überstehen. Kaffee war aber teuer und für breite Bevölkerungsschichten nur schwer erschwinglich. Als Produkt ausländi ­scher Herkunft war er außerdem mit Abgaben belegt. Nicht zufällig zählte Kaffee daher zu den am häufigsten geschmuggelten Waren. Seine Sur ­rogate dienten oft nicht allein als Ersatz, sondern wurden dem Original zur Streckung beigemengt. Grundstoffe waren vielerlei Wurzeln, Samen, Früchte und andere Pflanzenteile. Dazu zählten etwa Zichorien, Getreide, Feigen und Eichensamen. Da die Wirkungen des Kaffees umstritten waren, wurden für die Ersatzmittel gelegentlich medizinische Aspekte ins Treffen geführt. Damit warb beispielsweise die Firma Franz Kathreiner in München. Sie erzeugte Malzkaffee und versah die Packung mit dem Bildnis des pro ­minenten bayerischen Priesters und Naturmediziners Sebastian Kneipp. Für die österreichische Erzeugung erlangte Heinrich Franck erhebliche Bedeutung. Er produzierte in Ludwigsburg unweit von Stuttgart Zichorien­kaffee. 1879 gründete Gustav Franck eine Fabrik in Linz und eroberte in der Folge erhebliche Anteile am österreichischen Markt. Weitere Filialen entstanden bis zur Jahrhundertwende in Komotau, Kaschau, Agram und Pardubitz. Eine erste Zusammenfassung über die Surrogate im deutschen Sprach ­raum veröffentlichte 1893 der deutsche Chemiker Theodor Koller. Er beschrieb darin rund 400 Verfahren und Rezepte. Ein gutes Drittel betraf Produkte im Bau- und Kunstgewerbe, jeweils 15 bis 16 Prozent Landwirt ­schaft, Nahrungs- und Genussmittel, Erzeugnisse der chemischen Industrie sowie Produkte aus tierischen und Pflanzenfasern. Zu den begehrten Textilfasern zählte die Jute. Sie wurde in den indischen Kolonien Englands angebaut und diente u.a. als Verpackungsmaterial für Rohstoffe und Waren. Mit der Zunahme des Handels stieg auch die Bedeu ­tung der Jute an. Um einem Mangel vorzubeugen, begann dieErste öster ­reichische Jute-Spinnerei und-Weberei in Wien-Simmering 1913 mit der Herstellung vonTextilit, einem patentierten Gewebe aus Textilfasern und Papier. Als nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Jutelieferungen nach Österreich ausblieben, stieg der Anteil der Mischgewebe weiter an. Lit.: Lackner 1990, Weitensfelder 2013a