86KardeDie Kardendistel weist auf ihrem Fruchtstand dornenförmige, elastischeSpitzen auf. Diese wurden bei der Textilerzeugung genützt, um die Oberfläche von Wollgeweben aufzurauen. Dadurch erhielten sie einen flau schigen Griff und ermöglichten eine bessere Wärmeisolierung. Für diesenVorgang wurden die getrockneten Fruchtstände in der Länge durchbohrtund an einer Achse rotierend auf einem Gerät montiert. Abbildungensolcher Textilkarden oder Kratzen sind im deutschen Sprachraum seit dem15. Jh. überliefert. Ähnliche Geräte fanden auch Verwendung, um Fasernvor ihrer Verspinnung zu reinigen und dabei ein lockeres Band zu erzielen.Hier wurden die natürlichen Dornen aber allmählich durch kleine gebogene Drahthaken abgelöst, die meistens auf einem Lederstreifen montiertwaren. Seit der Mechanisierung des Spinnverfahrens gewannen Metallkarden weiter an Bedeutung. Ihre Herstellung war mühselig und monoton:Zunächst wurde das Leder vorbereitet und durchlöchert. Anschließendwurden die Häkchen eingesteckt. Diese Arbeit wurde von Kindern durchgeführt, da sie zarte Finger besaßen und ihre Arbeit nicht viel kostete. Um1837 wurde geschätzt, dass ein Kind täglich 8000 bis 9000 Doppelhakenstecken konnte.In England fanden Versuche statt, auch die natürlichen Raukarden durchsolche aus Metall zu ersetzen. Doch schadete ihr Einsatz vor allem feinerenTuchwaren; außerdem rosteten die Drahthaken, da die Tuche beim Rauenangefeuchtet werden mussten. Immerhin war Mitte des 19. Jhs. das händische Rauen großteils durch Maschinen abgelöst, welche mit hundertenrotierenden Disteln versehen waren. Mit zunehmender Produktion stiegauch die Nachfrage nach Naturkarden. Die Kardenbauern sammelten dieDistelköpfe, wenn sie fast abgeblüht waren. Sie banden jeweils 25 Stückan den Stielen zusammen, zum Transport wurden 10.000 bis 12.000 Stückin ein Fass gepackt. Ältere Karden wurden bevorzugt, weil ihre Dornendicker und härter waren. Am meisten wurden Distelkarden aus Avignon,Sedan und Rouen geschätzt; jene aus Sedan waren in zehn Qualitätsstufengegliedert. In England galten die Naturkarden aus Essex als die besten.Die meisten nach Österreich importierten Karden stammten aus Hollandund Deutschland. Ihr Gebrauch hielt sich bis in die Zeit zwischen denWeltkriegen: Noch 1925 wird über den Gebrauch von Weberkarden in denRaumaschinen berichtet.Lit.: Karmarsch 1837, Blumenbach 1846, Karmarsch 1853, Erdmann-König 1925