94 Farbe Natürliche Farben stammen von Pflanzen, Tieren und Mineralien. Als pflanzliche Farbstoffe in Europa dienten etwa Färberwaid, Färberwau und Krapp. Aus Asien und Südamerika gelangten Hölzer zur Gelb-, Rot- und Blaufärbung nach Europa. Weitere Farben lieferten Cochenille-Schildläuse, Purpurschnecken und Tintenfische. Dazu kamen Mineralien wie Ocker und Lapislazuli. Mit diesen Substanzen konnte aber keine gleichmäßige Fär­bung erzielt werden, die Zahl der Farbtöne war sehr beschränkt, und die Produkte waren empfindlich gegen Licht, Wasser und Reibung. Den Ausgangsstoff für eine regelrechteRevolution der Farben bildete der Steinkohlenteer. Er fiel über Jahrzehnte als Nebenprodukt der Gewin ­nung von Leuchtgas an. Den ersten kommerziell erfolgreichen künstlichen Teerfarbstoff gewann William Henry Perkin 1856 in England. Er nannte ihn Mauvein, da er den Blüten der Malve ähnelte. Die weitere Entwicklung der Teerfarbenindustrie wurde aber von deutschen Firmen dominiert. In den 1860er Jahren entstanden mehrere Unternehmen, die später zu Konzernen heranwuchsen, z.B. Meister Lucius& Brüning in Höchst bei Frankfurt am Main, Friedrich Bayer in Barmen-Elberfeld, später in Leverkusen, sowie die Badische Anilin- und Sodafabrik(BASF) in Ludwigshafen bei Mannheim. Die Betriebe lagen mehrheitlich an Flüssen wie Rhein oder Main, was die Zuführung der Rohstoffe in großen Mengen erleichterte. Ihre Produkte verdrängten zunächst den Naturstoff Krapp. Diese Pflanze wurde u.a. in Frankreich, den Niederlanden, Deutschland und Ungarn kultiviert. Mit der Synthese ihres Wirkstoffs Alizarin um 1868 und der Entwicklung entspre­chender Teerfarben verschwanden die Krappkulturen innerhalb kurzer Zeit. Weitere synthetische Farbstoffgruppen in den folgenden Jahrzehnten bildeten etwa die Azofarben, Ultramarin und Indanthren. Um 1883 entschlüsselte der Chemiker Adolf von Baeyer den Wirkstoff der Indigopflanze. Bald nach der Jahrhundertwende verdrängte der künstliche Indigo den natürlichen, der vor allem in den englischen Kolonien in Indien und in den niederländischen Besitzungen auf Java angebaut wurde. Vor dem Ersten Weltkrieg entfielen über drei Viertel der weltweit erzeugten Teerfarben auf die deutsche Industrie. Österreich-Ungarn spielte dabei kaum eine Rolle, lediglich eine Sodafabrik im schlesischen Hruschau stellte um 1907 eine Zeitlang Anilinfarben her. Lit.: Weitensfelder 2011, Jesswein 2014, Wieser 2016