73So berichtet der Wiener Feldpostbeamte Ernst August Finke von seinemDienstalltag an der Nordostfront im Herbst 1914 in sehr ernüchterndenSzenen. Finke schildert die Arroganz der Frontoffiziere und die bürokratische Beckmesserei im Hinterland, lückenhafte Befehlsketten und nächt liche Irrfahrten durch unbekanntes Gelände,(beifällig aufgenommene)Hinrichtungen vermeintlicher Frontspione und die allgegenwärtige Gefahr, dank der modernen weittragenden Geschütze auch Kilometer hinterder Feuerlinie unter Beschuss zu geraten. So ungeduldig die Feldpostvon den Soldaten erwartet wurde, so hinderlich wurden ihre schwerbeladenen Fuhrwerke im Chaos der Rückzugsmanöver. Dann mussten dieFeldpostbeamte sich gegen die eigenen Kameraden zur Wehr setzen,damit nicht sehnsüchtig erwartete Lebenszeichen säckeweise im Straßenschlamm landeten.27Der wichtigste Teil der Feldpostarbeit, die Verteilung von Poststücken undAusgabe neuer Feldpostkarten an die Soldaten, spielte sich oft anders ab,als Kriegsmaler und Kriegsfotografen es gerne festhielten.Empfahlen sich für den Fotoreferenten des k.u.k. Kriegsarchivs die Rastpausen der Infanterie für eine„Unmenge reizender Aufnahmen”, insbesondere bei der Verteilung der Feldpost – denn„nie sah ich im Bilde das,was ich so oft im Schützengraben geschaut: weich-glückliches Lächeln imharten Kriegergesicht, wenn der Heimatsbrief[sic] kam”28–, lieferte dieFrontwirklichkeit weniger beruhigende Bilder.Statt Szenen mit Männern, die ordentlich aufgereiht oder in gemütlicherRunde Briefe und Karten von Postbeamten oder Offizieren übernehmen,schildert der Feldpostbeamte Finke ein eher verstörendes Erlebnis, ganzgegensätzlich zum offiziellen Bild:„Über die Felder kommt eine Kompagnie Infanterie. Sie ist total erschöpft und lagert sich auf der Wiese. Ein Mann bettelt uns um Brot an.Gleich sind wir von der ganzen Mannschaft umringt. Alle Müdigkeit istvergessen. Wir geben ihnen alles, was wir haben, doch viel zu wenig, daßjeder etwas bekommen hätte. Der Offizier treibt die Leute wieder mitGewalt zurück. Dann sprechen wir miteinander. Er gibt mir einen Brief.Auf einmal weiß jeder, daß hier ein Feldpostamt ist. Alles will Feldpostkarten, jeder will schreiben und wie jämmerlich mancher bitten kann.Leider sind alle Karten bald verteilt und immer mehr Leute kommen,bitten, betteln und jammern. – Entsetzlich! Angst, Müdigkeit und Hunger, ja alles ist vergessen und nur mehr der Wunsch ist vorhanden, eine