100 Systeme und die Überwindung der bürgerlich geprägten Welt mit ihrer alt gewordenen Kultur. Manchen Komponisten wird zugeschrieben, sie hätten in ihren Werken musikalische Vorahnungen auf die entsetzlichen Vorkommnisse im ersten Weltkrieg formuliert. Das wohl meistzitierte Beispiel zum Thema ist Gustav Mahlers 6. Symphonie, die schon vor 1914 und erst recht nach 1918 als Vision der Zerstörung und des Untergangs wahrgenommen wurde. Kompositionstechnisch manifestiert sich das etwa in den Märschen, die in dieser Symphonie anklingen. Sie klingen eher deprimierend und zerstörerisch als glanzvoll heldenhaft. Das Werk endet sehr dramatisch mit dem berühmten „Katastrophenschluss“. Igor Strawinskys 1913 uraufgeführtes Ballett“Le Sacre du Printemps“ wird ebenfalls von Historikern immer wieder als eine in Tönen formulierte Vorahnung des Krieges beschrieben. Die aufwühlende Musik, bis dahin nicht gekannte Lautstärke und Wildheit provozieren diese Interpretation. Bis in musiktheatralische Details werden dem Stück enge Zusammenhänge mit den welthistorischen Ereignissen zugeschrieben. Einen Krieg später, 1949, beschrieb Theodor W. Adorno das Stück als„musikalischen Schock“ für die 1913 damit konfrontierten Zuhörer und kritisierte es, allerdings aus anderen Gründen, negativ. 4 Bemerkenswert ist auch die Übertragung der Wut gegen den Feind auf eine musikalisch-inhaltliche Ebene und die daraus entspringende, oft heftige und eher unfeine Kritik an Komponisten aus anderen Ländern. Dies betrifft hauptsächlich die Zeitgenossen bzw. Avantgarden. Claude Debussy forderte 1915, französische Kunst müsse genauso ernsthaft Rache üben wie die französische Armee. 5 Schönberg wetterte zornig über seine ausländischen Kollegen als„mediokre Kitschisten“ 6 und betonte die Notwendigkeit des Krieges gegen dieselben. Abgesehen von diesen Aspekten in der„Ernsten Musik“ können die vielfältigen Rollen von Musik im Krieg im Lichte der Bevölkerungsgruppen und ihrer jeweiligen Lebenssituationen und Verfasstheiten im Kriegsgeschehen beschrieben werden: Musik für die Soldaten zum Marschieren, im Schützengraben, in der Schlacht oder in Gefechtspausen; Musik für die Zivilisten, für die Zuhausegebliebenen. Sie diente der Unterhaltung, der Motivation, war Vehikel der Propaganda, Therapie und Ritual. Musikinstrumente wurden in diesen unterschiedlichen Nutzungszusammenhängen nach ihren„Fähigkeiten“ eingesetzt.
Dokument
Unter dem Losungsworte Krieg und Technik : das Technische Museum
Wien und der Erste Weltkrieg ; [Sammelband] / Caroline Haas, Mirko Herzog, Christian Klösch, Helmut Lackner, Otmar Moritsch, Wolfgang Pensold, Franz Rendl, Christian Stadelmann, Hubert Weitensfelder
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