DOI 10.60531/INSIGHTOUT.2024.2.7| NIEDERBERGER: WIE INFRASTRUKTUREN USER MACHEN_ INSIGHTOUT 2(2024) 42 sich in den Individuen ständig durch einen Prozess aktualisiert, den erInterpellation nannte. Seiner Ansicht nach existiert das Subjekt nicht unabhängig von seiner Umgebung, sondern wird durch dieAn­rufung von Institutionen geprägt 6 in diesem Text digitale Infrastrukturen. Auf unseren Fall übertragen kann man sagen, dass Twitter und Mastodon ihre User:innen auf unterschiedliche Weise interpellie­ren und dadurch unterschiedliche Vorstellungen von Usern und Userinnen produzieren. Der Unterschied ist dabei in der spezifischen infrastrukturellen Orga­nisation der zwei Dienste zu suchen. Dies bedeutet, dass Subjektivität niemals nur persönlich oder inner­lich ist, sondern dass das Persönliche, das Psycho­logische und das Individuelle eng mit der Welt und ihren sozialen, wirtschaftlichen, politischen, kulturel­len und technologischen Formationen verbunden ist. Wie der Anmeldeprozess bei Twitter zeigt, ist die Sub­jektivität der User:innen eng mit der liberalen Subjek­tivität verbunden. Das autonome, kalkulierende und selbstregulierende liberale Subjekt dient als Hinter­grund für die Subjektposition des Users und der Use­rin. Infrastrukturelle Interpellation ist also kein durch Technologie allein determinierter Prozess, sondern steht in Beziehung zu anderen Selbstverständnissen und bereits etablierten Subjektpositionen. Die infra­strukturelle Interpellation kann bestehende norma­tive Subjektpositionen bestätigen(wie bei Twitter), aber wie wir bei Mastodon gesehen haben, kann sie auch zu Spannungen führen: Mastodon interpelliert ein Individuum, das sich zuerst in Bezug auf eine Ge­meinschaft identifiziert, im Unterschied zum klassi­schen liberalen Individuum, wo Gemeinschaftlichkeit immer erst nachgeordnet ist. Diese Spannungen arti­kulieren sich sowohl seitens der User:innen als Krise der Subjektivität, als auch seitens der Plattform, die ihren Onboarding-Prozess abwickelt 7 . Diese Spannung ist aber nicht nur ein Problem, son­dern eröffnet auch einen Raum der Differenz, denn Interpellation ist auch ein performativer Prozess, der aus zahlreichen performativen Gesten besteht, die Identität unterhalten, aber auch die Möglichkeiten der Differenz in sich tragen. 8 Subjektivität ist also ein Ort, an dem man von der Welt beeinflusst ist, aber auch ein Ort, an dem Veränderung stattfinden kann. Während Mastodon die Subjektposition der User:in­nen in Richtung Gemeinschaftlichkeit öffnet, bleibt die Differenz zu anderen technologischen Subjektpo­sitionen bestehen: Der:die User:in wird noch immer als Konsument:in verstanden, im Gegensatz zu denje­nigen, die Technologie produzieren und bereitstellen: dem:der Administrator:in, dem:der Programmierer:in und dem:der Moderator:in. Die von Mastodon ange­botene Subjektposition des Users und der Userin ist also nach wie vor die des Konsumenten und der Kon­sumentin, deutlich getrennt von der Subjektposition des Produzenten und der Produzentin, genauso wie es bei großen Tech-Plattformen der Fall ist. 9 Trans * Feministische Server: Server als Protagonistinnen Da es sich bei den Subjektpositionen um kulturelle Formen handelt, bergen insbe­sondere kulturelle und künstlerische Prakti­ken Möglichkeiten für die Entwicklung von alternativen Methoden und Praktiken. 6 L. Althusser: On The Reproduction Of Capitalism: Ideology And Ideological State Apparatuses . London, Brooklyn NY 2014. 7 Ausführungen zu diesem Aspekt, siehe: S. Niederberger:Calling the User: Interpellation and Narration of User Subjectivity in Mastodon and Trans*Feminist Servers, in: A Peer-Reviewed Journal About 12, Heft 1,(2023): S. 177–91. https://doi.org/10.7146/aprja. v12i1.140449(24.6.2024). 8 J. Butler: Performative Acts and Gender Constitution: An Essay in Phenomenology and Feminist Theory , in: S. Case(Hg.): Perfor­ming Feminism. Feminist Critical Theory and Theatre. Baltimore, London 1990, S. 222–39. 9 Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen Mastodon und Big-Tech-Plattformen ist natürlich die Rolle, die Daten in ihnen spielen, und dieser Unterschied macht die Frage nach der Subjektposition der User:innen noch komplexer. Diese Diskussion würde den Rah­men dieses Textes sprengen und wird daher hier nicht genauer thematisiert.