92 Das Einkochen wurde mit der Vereinfachung des Verfahrens und dem Wegfall von Dienstboten in bürgerlichen Haushalten zur Hausfrauentu­gend stilisiert, die den Aufwand quasi hinter dem Liebesdienst an der Familie verschwinden ließ.Außerdem sind solche Gläser, besonders wenn sie mit Sorgfalt und Liebe eingeschichtet wurden, in ihrer reichen Abwechslung die Zierde von Speisekammer und Keller, der Stolz einer jeden Hausfrau, ihre Freude und der Widerschein einer fleißigen Arbeit. 53 Obwohl diese Vorstellung bis in die 1960er-Jahre proklamiert wurde, ver­schoben sich ab 1950 das Ziel einer rationellen Haushaltsführung und die Konsumbedürfnisse dahingehend, die arbeitsaufwändige Eigenproduktion zugunsten des mühelosen Einkaufs von Industriekonserven zu ersetzen. Die Wertschätzung verlagerte sich vom Selbstgemachten zur Kaufware. Dosenfrüchte aus Übersee zeigten überdies Wohlstand an. Doch ab 1970 verloren Industriekonserven ihre Wertschätzung wieder; nun galt Tiefkühl­ware als frisch und fortschrittlich. Zudem war Haltbarmachen nicht mehr die einzige Option, um saisonunabhängig Obst und Gemüse essen zu können. Inzwischen gab es ganzjährig frische Waren aus aller Welt günstig zu kaufen. Marmelade und Säfte zu machen oder Obst und Gemüse aus dem Garten einzufrieren, blieb rudimentär bestehen, hat aber heutzutage eher die Rolle eines Hobbys oder ist Ausdruck eines Lebensstils. Kühlen als Arbeit Anders als mit dem längerfristig wirksamen Konservieren verhielt es sich mit dem kurzzeitigen Aufbewahren verderblicher Lebensmittel durch Kühlen. Auch hier war Arbeit nötig, die aber nicht ausgelagert, sondern mit der Entwicklung einer Technik, die selbsttätig Kälte erzeugt, obsolet wurde. Davor bedeutete Kühlhalten bei warmen Temperaturen eine Her­ausforderung, die sich in jenen Haushalten am besten lösen ließ, welche Lebensmittel in Kellern oder Vorratsräumen lagern konnten, die im Som­mer kühl blieben. Weitere Möglichkeiten waren der Einsatz von feuchten Tüchern oder Butterkühlern(Inv.Nr. 25014), die Verdunstungskälte aus­nutzen, sowie von Kältemischungen und isolierten Gefäßen. Doch waren diese behelfsmäßigen Optionen von begrenztem Nutzen, wenn nicht auch kühle Räume vorhanden waren. Für jedes Kühlhalten waren Wissen um Lebensmittel, ständige Beobachtung und Arbeit gefordert: Lebensmit­tel kontrollieren und gegebenenfalls umlagern, für Durchlüftung sorgen, Tücher befeuchten, Wasser nachfüllen etc. Und da sich kühle Vorratsräume selbstverständlich nicht neben den warmen Küchen befanden, war ein Weg anzutreten, wollte man mit den gelagerten Lebensmitteln kochen. Dasselbe galt, wenn aufgrund fehlender Kühlmöglichkeiten täglich kleine