22Güter des Fernhandels wurden überwiegend in den größeren Städten undin industriell fortgeschrittenen Regionen konsumiert. Weite Teile ÖsterreichUngarns blieben aber vorwiegend agrarisch geprägt, dort überwog dieSelbstversorgung. Viele ländliche Gemeinden wurden von wanderndenHausierern mit Waren des Alltags beliefert. Die Schicht der internationaltätigen Kaufleute war klein. Im Verhältnis zu den Besitzern von Industriebetrieben ist das Milieu der Großhändler und Kaufleute bislang wenigerforscht. Jedenfalls entstanden gelegentlich bei erfolgreicher Tätigkeit imHandel in relativ kurzer Zeit große Vermögen. Das belegt beispielsweisedie Auswertung einer Liste jener 929 Personen in Wien und Niederösterreich, die im Jahr 1910 über ein Einkommen von mindestens 100.000Kronen verfügten. Immerhin 150 von ihnen – das entspricht 16,1 Prozent– waren in den Sektoren Handel und Verkehr tätig. Zu den reichsten vonihnen zählten die Holz- und Kohlenhändler. Erstere nutzten die riesigenWaldbestände Österreich-Ungarns. Sie versorgten neben Großstädten wieWien auch Papier- und Zellulosefabrikanten, betrieben Sägewerke undbelieferten das Ausland mit Parketten und Furnier. Während Holz seinefrühere Bedeutung als Brennstoff verlor, trat die Kohle an seine Stelle. Mitdem Ausbau des Eisenbahnnetzes seit den 1850er Jahren gelangte hochwertige Steinkohle etwa aus Mähren in viele Teile des Landes.Andere Großkaufleute handelten mit Agrarprodukten wie Getreide undLebensmitteln, mit Metallen oder mit Textilien. Nicht wenige von ihnengründeten auf der Basis ihrer erworbenen Reichtümer Privatbanken undindustrielle Etablissements. Als führender Händler mit„Kolonialwaren“etablierte sich seit 1862 Julius Meinl. Auf den Handel mit Textilien spezialisierten sich viele jüdische Kaufleute. In den großen Städten entstandenaußerdem vornehm eingerichtete Warenhäuser für ein breites Publikum.Zu den bekanntesten Gründern in Wien zählten Jakob Rothberger, AugustHerzmansky und Alfred Gerngross. In Graz etablierten Karl Kastner undHermann Öhler ein weiteres Kaufhaus.Nach dem Ersten Weltkrieg verlor die nunmehr kleine Republik Österreichden Zugang zum Meer. Der Verlust der großen Kohlenlager verursachtegravierende Energie-Engpässe und erzwang den raschen Ausbau deralpinen Wasserkräfte. Ferner gingen erhebliche Anteile an wichtigenIndustriebranchen und bisherige Produktionsvernetzungen verloren, z.B.zwischen den böhmischen Webereien und den Spinnereien in Niederösterreich. Andere Nachfolgestaaten wie die Tschechoslowakei wiesen eineweitaus bessere industrielle Basis auf. Aufgrund der veränderten Grenzenmusste Österreich auch seinen Handel grundlegend neu ausrichten.