27letztendlich auch alles als gleichwertig klassifiziert werden. Deshalb istes – wie bereits beschrieben – eine der Aufgaben der Archivarin bzw. desArchivars, Selektionskriterien und eine Sammlungsstrategie zu entwickelnund damit dem ziellosen Sammeln entgegenzuwirken. Während es sichdabei im Grunde um ein„Nicht-Sammeln“ handelt, hat das Entsammelnim audiovisuellen Archiv eine spezifische Dimension, die mit der Materialität der Archivalien zusammenhängt.Mit der Aufnahme ins Archiv wird dem Kulturgut eine Perspektive auflange Dauer eröffnet. Dieses Bewahren über Jahrzehnte und Jahrhunderte hat allerdings bei AV-Medien durch die Obsoleszenz der Träger undAbspielgeräte eine spezifische Komponente: Werden analoge Medienrechtzeitig digitalisiert, wird die Aufnahme – das Wesentliche – erhaltenund steht als digitale Kopie zur Verfügung. Durch Digitalisierung kann derInhalt eines Trägers, nicht aber ein funktionsfähiger Träger selbst oder einfunktionsfähiges Abspielgerät erhalten werden. Werden analoge/digitaleMedien nicht rechtzeitig digitalisiert bzw. kontinuierlich migriert, drohtauch der Verlust des Inhalts, wenn die Lebensdauer des Trägers bzw. desAbspielgerätes abgelaufen ist. Ohne lesbaren Inhalt werden diese Medienzu ‚totem‘ Archivgut und zu musealen Trägern ohne Funktion, eine Artvon Restbestand im Archiv. Das ist eine Form des Entsammelns. Sie istungeplant und betrifft Medien, bei denen man sich schon einmal bewusstentschieden hat, sie in die Sammlung aufzunehmen. Mangels Digitalisierung haben sie sich nun quasi selbst entsammelt.Digitalisierung ist im audiovisuellen Archiv also nicht nur ein Thema derTechnik, der Workflows und der Dateiformate, sondern hat eine wesentlicheinhaltliche Dimension. Alle großen audiovisuellen Archive gehen davonaus, dass es nicht immer gelingen wird, sämtliche Bestände vollständig zudigitalisieren. Das kann unterschiedliche Gründe haben: weil die schon imArchiv befindlichen Bestände zu umfassend sind, um alles in einem zum Teilsehr schmalen Zeitfenster mit den Mitteln, die zur Verfügung stehen, zu digitalisieren; oder weil man gerade jetzt noch zahlreiche analoge Bestände anArchive übergibt und hofft, sie durch Digitalisierung erhalten zu können, wasdie Bestände nochmals anwachsen lässt; oder weil die Frage der künftigendigitalen Langzeitarchivierung nicht ausreichend geklärt ist.Um ein ungeplantes und damit auch ungewolltes Entsammeln zu verhindern, müssen also Prioritäten gesetzt werden – auch inhaltlich wertvollesMaterial kann nur in dem Maß übernommen werden, in dem es professionell bewahrt werden kann.