56 Exkurs:„Siegfried Marcus war kein Deutscher[...], sondern Jude“: Die Affäre um den„Marcus-Wagen“, 1940 Der„Marcus-Wagen“, bis heute eines der bedeutendsten Objekte des Museums, musste 1940 aus politisch-ideologischen Gründen aus der Schausammlung entfernt werden. 99 Bereits kurz nach dem„Anschluss“ wurde auf Initiative des„Nationalsozialistischen Bundes Deutscher Technik“(NSBDT) und der Vertretung des IV. Wiener Gemeindebezirks das 1932 vor der Technischen Hochschule errichtete Denkmal für Siegfried Marcus wegen dessen jüdischer Herkunft ebenso beseitigt wie die Marcus-Gedenktafel im Haus der Genossenschaft der Maschinenbauer und Mechaniker in der Gumpendorfer Straße. 100 Siegfried Marcus galt in der österreichischen Öffentlichkeit in den 1930er-Jahren als Erfinder des Automobils. In die Auseinandersetzung, ob nun Carl Benz 1885 oder Marcus 1875, 1877 oder erst 1888/89 das Auto erfunden hätte, mischten sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland 1933 antisemitische Töne. Der Kustos des Museums Erich Kurzel-Runtscheiner beschäftigte sich intensiv mit Marcus‘ Leben und Werk. In einer 1928 erschienenen Abhandlung über Marcus, die das Museum als Sonderdruck verkaufte, feierte er ihn als ersten, der ein „Benzinautomobile mit magnetelektrischer Zündung“ gebaut habe. 101 Nach dem„Anschluss“ kam es zunächst zu einer überraschenden Entwicklung: Das NSKK, das den ÖAC übernahm und seinen Besitz liquidierte, überließ den Marcus-Wagen, wie bereits erwähnt, dem Museum als Geschenk. Doch schon bald wurde das auch international bekannte Ausstellungsobjekt zu einem Problemfall. Einerseits wollte und konnte das Museum nicht auf den Marcus-Wagen verzichten, da vor allem ausländische Technikinteressierte nur seinetwegen das Haus besuchten, andererseits musste es auf den politischen Druck reagieren. Als Kompromiss ersetzte die Direktion ein Foto von Marcus und die Ausstellungstafel durch eine Beschriftung,„bei der oben die Leistung in großen Buchstaben und darunter der Name Marcus in kleinen Buchstaben angegeben“ war, beließ den Wagen jedoch in der Schausammlung. 102 Den Verkauf der Marcus-Broschüre von KurzelRuntscheiner stellte man ein, und in einem Ende 1939 neu aufgelegten Museumsführer fehlte die Passage über den Marcus-Wagen. Auf Anfragen, die weiterhin von Wissenschaftern und Journalisten aus der „Ostmark“ und dem„Altreich“ zu Marcus einlangten, pflegte Direktor Schützenhofer mit dem Satz:„bezüglich Siegfried Marcus erwähnen wir vor allem, dass er Jude war“ zu antworten. 103 Internationale Anfragen wurden mit dem
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Inventarnummer 1938 : Provenienzforschung am Technischen Museum
Wien / Christian Klösch
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56
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