DOI 10.60531/INSIGHTOUT.2023.1.7| HAGEMANN, WAGNER: LUNCHABLES_ INSIGHTOUT 1(2023) 652000er-Jahre und den deutschsprachigen Raumlässt sich das mit großer Sicherheit sagen – beinaheimmer in Milieus ohne sichtbare Erfahrungen finanziellen Mangels. Die Spots sind damit natürlich trotzdem implizite Aussagen über Klassenverhältnisse, fürunsere Überlegungen aber mehr noch als diskursivesFeld interessant, auf dem die Möglichkeiten zur Verschleierung und subtilen Implementierung von ‚Klasse‘ als Differenzmarker in eigentlich bürgerlichen,ressourcentechnisch abgesicherten Diegesen ausgehandelt werden. Unsere Beobachtung ist nämlich,dass eine vollständige Unterdrückung von Hinweisenauf prekäre Verhältnisse den Spots doch nicht gelingt, respektive nicht gelingen kann, wenn den beworbenen Produkten diese Prekarität als konsumistische Wahrheit eingeschrieben ist.Ein Beispiel hierfür ist besagter deutscher Spot fürLunchablesaus dem Jahr 1998, der wie folgt abläuft:Wir schauen einer Frau, die gerade einen Blumenstrauß in einer Vase arrangiert, über die Schulter. ImHintergrund liegt der Familienhund in seinem Körbchen. Ein Junge, offenbar der Sohn der Frau, kommtauf sie zu, greift routiniert und ohne dass eine Absprache mit der Mutter nötig wäre, nach einem flachen, in Butterbrotpapier verpackten Objekt auf derzwischen uns und ihm stehenden Anrichte und wendet sich mit einem enttäuschten Blick zum Gehen. DerOrt der Handlung – ein Einfamilienhaus mit offenerKüche, von der eine französische Tür in den Gartenführt – und die Tätigkeit der Mutter – das entspannteVerschönern des Heims mit Schnittblumen, währenddas Essen für den Sohn schon fertig auf der Anrichteliegt – weisen darauf hin, dass es hier weder an Geldnoch an Zeit mangelt. Mütterliche Care-Arbeit, sozeigt der Spot, ist zunächst kein Problem von Stressoder finanzieller Not, sondern vor allem eine Fragevon Anerkennung und in ihrem Gelingen vor allemvom Urteil der Betreuten abhängig, mithin also eineprivate Angelegenheit, die mit Wissen(das von derWerbung kommt) und Geld(für das beworbene Produkt) optimiert werden kann. So heißt es in der voneiner ‚weiblichen‘ Stimme gesprochenen bildbegleitenden Rede:„Jeden Tag ein Pausenbrot ganz nachKindergeschmack, das fällt der besten Mutter schwer.Wirklich keine leichte Aufgabe.“ Der Text öffnet dasBedeutungsspektrum der dargestellten Krise hin zuProblemen, die Mütter in weniger privilegierten Verhältnissen haben: Mangelnde Ressourcen, zeitlicherStress, Mehrfachbelastung und psychischer Druckkönnen es neben anderen Dingen schwer machen,dem eigenen Kind täglich eine ausgewogene und ansprechende, gesellschaftlich akzeptierte Mahlzeit zurVerfügung zu stellen. Passenderweise spart die Bildebene die beiden wichtigsten Parameter zur Beurteilung der kindlichen Enttäuschung aus: Wir sehen bisauf einen kurzen Anschnitt ihres Oberkörpers wederdie Mutter noch wird uns gezeigt, woraus das Pausenbrot konkret besteht. Auch in den zwei folgendenSzenen, die den Jungen jeweils beim wieder mal unglücklichen Blick in eine typische deutsche Brotdosezeigen(während der Vater, als ‚gutes‘ Elternteil vomSohn zum Abschied angelächelt, im Herrenanzug dasHaus verlässt beziehungsweise ein Geschwisterkind,vom Regen nass, aus dem Garten kommt), sehen wirnicht, worüber das Kind sich genau ärgert. Die Imagination des mutmaßlich ‚langweiligen‘, dem Kindergeschmack zuwiderlaufenden Pausenbrots bleibtder Zuschauerin ebenso überlassen wie die Konturierung der Mutter als Person mit einem Körper undeiner Psyche. Die mit„Zum Glück gibt‘s jetzt die neuen KraftLunchables“ eingeführte Lösung veranlasstdas Kind schließlich zu großer Freude über ein bestimmtes Produkt. Sein Blick geht jetzt genau in dieKamera und identifiziert uns als Beobachter_innender Szene mit der ‚guten Mutter‘, die ihre Funktionals Bereitstellerin eines ‚guten‘ Schulessens, aus welchen Gründen auch immer, an eine Konsumentscheidung delegiert hat, das erworbene Produkt ohneweiteres Zutun an ihr Kind übergibt und dafür mit einem„Danke, Mami!“ belohnt wird. Der Junge verlässtdas Haus beschleunigt und wird dabei unterlegt mitdemselben fröhlichen Hüpfsound, mit dem zuvor dasAuf- und Abstapeln der Cracker, Käse- und Schinken-