DOI 10.60531/INSIGHTOUT.2023.1.7| HAGEMANN, WAGNER: LUNCHABLES_ INSIGHTOUT 1(2023) 66scheiben als spaßiger Ausdruck kindlicher Individualität charakterisiert wurde. Im Hintergrund sehen wirden aus den anderen Szenen vertrauten Küchentisch, der nun zum ersten Mal gedeckt ist und so diepotenziell fragwürdige Verpflegung des Kindes mitFertignahrung mit einer Erinnerung an familiäre Essszenen verbindet und dadurch als ‚liebevoll‘, ‚selbstgemacht‘ und ‚mütterlich‘ kontextualisiert. Da aucherstmals kein anderes Familienmitglied(Hund, Vater,Geschwisterkind) im Bild ist, ist ebenso der Grad anIntimität im Mutter/Sohn-Verhältnis an dieser Stellemaximiert. Das gut gelaunte und bestens versorgteKind als behauptetes Ziel mütterlicher Sorgearbeitstellt in der visuellen Inszenierung den wichtigstenTeil einer reparierten Beziehung dar, deren Problemvordergründig eine kommunikative Geschmacksverirrung war, die produktlogisch aber viel eher in einemMangel an Zeit und Geld ihren Auslöser findet. Diegetisch bedarf es einer Quasibeseitigung der Mutter,die auf abgründige Weise das eigentliche Problem zusein scheint, ist sie doch offenbar, warum auch immer,nicht in der Lage, die Rolle der Versorgerin mit ihrenKompetenzen und Ressourcen zufriedenstellend zuerfüllen. Der Konsum der kleinen Fett-Salz-Türme verspricht, das erfahren wir noch, obendrein zu gutenSchulleistungen und hohem Ansehen bei den Mitschüler_innen zu verhelfen, wobei die gierigen Blickeder selbst weiter mit offensichtlich ‚gewöhnlichen‘Schulmahlzeiten ausgestatteten anderen Kinder inihrer Gerichtetheit ambivalent bleiben, indem siesich zum Teil auf den Jungen und zum Teil auf seinEssen fokussieren. Mit der Kaufentscheidung gehtalso auch ein Versprechen von Aufstieg entlang derklassischen bürgerlichen Narrative von Bildung undsozialem Prestige einher.Nur angemerkt sei, dass der Spot eindeutige USamerikanische Vorbilder hat. Vor allem ein Werbefilmweist ein bis in Details der Familienkonstellation identisches Setting auf,12verfügt aber zugleich erstensüber stärkere Hinweise auf eine im gezeigten Haushalt herrschende tendenzielle Nahrungsmittelprekarität(„Isn’t this your doggy bag from last night?“)und zweitens über einen Sohn, der sich gegen dieempfundene Misshandlung mit aus seiner Sicht unangemessener Verpflegung ausdrücklicher zur Wehrsetzt als sein in der Frustration stummes deutschesPendant. Zudem weist seine an die Mutter gerichteteFrage„Are you mad at me?“ beim Blick in die braune Lunchtüte darauf hin, dass innerhalb der FamilieKonflikte potenziell manipulativ über die Zuteilungungeliebter Lebensmittel ausgetragen werden. Beides – die mutmaßlich problematischen Familienverhältnisse und der widerständige Sohn – wird von derFrauenstimme aus dem Off und der Inszenierung desSpots als ironisch und comedyartig ausgewiesen.Die in derLunchables-Werbung durch den Erwerbund die Konsumption des beworbenen Produkts erreichten Statuspositionen ‚erfolgreicher Sohn‘ und‚gute Mutter‘ verweisen auf die Funktion der in den(Lebensmittel-)Werbungen auftretenden Akteur_innen, den Rezipient_innen in ihren Kauf- und Konsumentscheidungen als nachahmenswerte Vorbilder zudienen. Dies wird auch in einem anderen Werbespotder 1990er-Jahre deutlich, in dem für dieKinderÜberraschungder MarkeFerrerogeworben wird.Darin wird in wenigen Szenen die Interaktion einerreichen Vorstadtfamilie als besonders gewitzt, kreativ und harmonisch vorgestellt.13Der von der Tochter an die Mutter, die gerade im Begriff ist, mit ihremBMW-Cabrio zum Einkaufen zu fahren, gerichteteWunsch, ihr„was Spannendes, was zum Spielen undSchokolade“ mitzubringen, wird vom mithörendenSohn zum Anlass genommen, sich als„Einkaufsberater“ einzuschalten und der Mutter auf der Fahrtzum Supermarkt den Kauf derKinder-Überraschungzu empfehlen. Die Wünsche der Tochter nach Spannung, Spiel und Schokolade sollen, wie drei Einblendungen zeigen, mit der Bereitstellung derKinder12Der Spot auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=86Dk1I9cRmY#t=01m52s(28. 7. 2023).13Der Spot auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=4hjUVShDhCY&ab_channel=schollek(28. 7. 2023).