DOI 10.60531/INSIGHTOUT.2024.2.12| KOULI: HISTORIOGRAPHIE ZUR EUROPÄISCHEN DESSOUS-GESCHICHTE_ INSIGHTOUT 2(2024) 84traditionsreiche und bis heute erfolgreiche Firmen.Das Phänomen ist keineswegs auf Westeuropa beschränkt. In den postsozialistischen Staaten wurdenwährend der 1990er Jahre mit Axami(Polen)10oderJasmine(Ukraine)11ebenfalls Unternehmen gegründet, die sich seit mehreren Jahrzehnten mit dem Verkauf von Damenunterwäsche am Markt behaupten.Das geschah sowohl durch höhere Produktionsmengen als auch durch effektivere Produktionsmethoden.Die so günstigeren und in großer Zahl zur Verfügungstehenden Produkte waren nun breiteren Bevölkerungsschichten zugänglich.12Damit lässt sich Endedes 19. Jahrhunderts eine„Demokratisierung des Luxus“ beobachten. Wie etwa Werner Thieme schreibt,sei gerade in den Städten„Luxus besser erreichbarund nun nicht länger nur ein Privileg des Adels“ gewesen.13Das bedeutete jedoch auch, dass sich Käufer_innen frei am Markt entscheiden konnten, welcheProdukte sie kauften. Der Markt für Damenunterwäsche wuchs damit zu einem Zeitpunkt, als Marktteilnehmer_innen durch ein wachsendes Angebot anEntscheidungsautonomie gewannen. Das zeigte sichetwa in der Ausdifferenzierung der Konsumpraktiken,in denen sich – stärker als in der Frühen Neuzeit oderim Mittelalter – Genderrollen zunehmend widerzuspiegeln begannen.14Darüber hinaus haben sichEngland und Frankreich Anfang des 19. Jahrhundertsals„Modenationen“ etabliert.15Auf diesem immer globaleren Verbrauchermarktkam es trotzdem nicht zu einer„one size fits all“- Logik, bei der ein Produkt weltweit verkauft werdenkonnte. Das Gegenteil war der Fall:„The tensions between global ambitions andlocal markets had been one of the most persistent features in the history of the beautyindustry.“16Dieser Prozess der Integration der Präferenzen anderer Länder in die eigene Produktion wird in derForschung als„Glokalisierung“ bezeichnet.17Beider Glokalisierung handelt es sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht um eine Unternehmensstrategie18, die dem Zweck dient, mehr Absatz zu generieren:„Auch gerade ‚global‘ produzierende undihre Produkte vermarktende Firmen müssen lokaleBindungen entwickeln – und zwar, indem erstensihre Produktionen auf lokalen Beinen entstehenund stehen und zweitens auch global vermarktbareSymbole aus den Rohstoffen lokaler Kulturen, diedeswegen lebendig, eruptiv und disparat bleibenund gedeihen, ‚abgeschöpft‘ werden müssen.[…]‚Lokalismus‘ lautet das Bekenntnis, die Unternehmensstrategie, die mit praktizierter Globalisierungan Bedeutung gewinnt.“19Nourzad kommt, zum Teilvia Verweis auf Andreas Hepp, zu diesem Ergebnis:„[D]urch die Standardisierung einzelner Produkte sowie Massenproduktion am globalen Marktist es notwendig geworden, Unterschiede zwischenden Produkten und so Vielfalt am Produktmarkt zuschaffen, um das Interesse des Konsumenten/der10https://axami.pl/de/(17.4.2024).11https://jasmine.ua/en/pro-kompaniyu(18.4.2024).12Berend, siehe Anm. 3.13W. M. Thieme:„Das Wesen der Luxusmarke“, in: ders.(Hg.):Luxusmarkenmanagement. Wiesbaden 2017, S. 3–33, hier S. 8.14L. Auslander:„The Gendering of Consumer Practices in Nineteenth-Century France“, in: V. de Grazia(Hg.):The sex of things. Gender and consumption in historical perspective.6. Aufl. Berkeley(CA) 1996, S. 79–112.15G. Mentges: Europäische Kleidermode(1450–1950), Paragraph 61, unter http://www.ieg-ego.eu/mentgesg-2011-de(21.4.2024).16G. Jones:Beauty Imagined. A History of the Global Beauty Industry. Oxford 2010, S. 302.17Mit Blick auf die Schönheitsindustrie spricht der britische Historiker Jones vom„Tribalismus“, faktisch meint er jedoch ebenfalls dieAnpassung des Produkts an lokale Präferenzen zur Steigerung des Absatzes; ebd., S. 300.18S. Nourzad:Auswirkungen der Globalisierung auf Unternehmen, die überwiegend lokal sowie sozial und ökologisch nachhaltigproduzieren anhand ausgewählter österreichischer Unternehmen. Dissertation Universität Wien(Fakultät für Sozialwissenschaften).Wien 2014, S. 40.19U. Beck:Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus, Antworten auf Globalisierung(= Suhrkamp-Taschenbuch, Band 3867).Frankfurt am Main 1997.