DOI 10.60531/INSIGHTOUT.2024.2.12| KOULI: HISTORIOGRAPHIE ZUR EUROPÄISCHEN DESSOUS-GESCHICHTE_ INSIGHTOUT 2(2024) 85 Konsumentin zu wecken und das Produkt letztlich zu verkaufen. 20 Nourzad betrachtet die Glokalisierung als ein Phä­nomen der 1980er Jahre. Faktisch gibt es Gründe davon auszugehen, dass dieses Phänomen den welt­weiten Handel seit der ersten Welle der Globalisie­rung Ende des 19. Jahrhunderts begleitet.The Sex of Things 21 also die geschlechtsspezifische Ansprache potenzieller Kundinnen und Kunden zwecks Steige­rung der Nachfrage fand genau in jenem Zeitraum Eingang in den Markt, wie Auslander feststellt. 22 Damit war auch das Bemühen verbunden, Produkte so zu gestalten, dass sie für die Zielgruppe attraktiv wurden. Auch hierbei war die Abgrenzung zu ande­ren Kulturen bedeutsam, etwa wenn de Landemer betont, dass die französische Frau im Gegensatz zur amerikanischen selbstverständlich über hinreichend Geschmack und Selbstbewusstsein verfüge, ihr Heim selbst zu möblieren. 23 Damit hat auch die Frage der nationalen Abgrenzung im Alltag durchaus Eingang in die Forschung zur Konsumgesellschaft gefunden, jedoch stärker hinsichtlich der Repräsentation als der Kaufentscheidungen selbst. Historiografie und Geografie Die Historiographie zur Dessousmode, so die zen­trale These dieses Beitrags, bestätigt die unter­schiedlichen nationalen Präferenzen beim Kaufver­halten, die sich vom Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart zeigen lassen. Die Verfasser_innen nehmen diese Bestätigungen in ihren Publikationen jedoch überwiegend implizit vor. Wie in diesem Bei­trag problematisiert wird, hat dies zu geografischen Schwerpunkten bei den Forschungsfragen und den Analysen geführt. Das ist potenziell folgenreich, denn wenn Schwerpunktsetzungen nicht explizit pro­blematisiert und in der weiteren Arbeit berücksich­tigt werden, besteht das Risiko, dass zukünftige For­schung Schlüsse zieht, die auf einer unzureichenden Grundlage basieren. Auch deshalb wird in diesem Beitrag der Versuch unternommen, eine plausible Kategorisierung der bisher vorliegenden Publikatio­nen vorzuschlagen. Die Forschung zur Geschichte der Damenunterwä­sche lässt sich in zwei Gruppen aufteilen. In der ers­ten Gruppe stellen die Verfasser_innen die Rezepti­on der Unterwäsche ins Zentrum der Analyse, in der zweiten die Unterwäsche selbst. Die Rezeption der Unterwäsche ist das ist intuitiv nachvollziehbar mit gesellschaftlichen Kontroversen verbunden. Ex­emplarisch zeigt sich das am Büstenhalter, dessen symbolisch stark aufgeladene Rolle sich erheblich wandelte. Ende des 19. Jahrhundert wurde der BH zu einem Symbol der Freiheit, indem er so die Dar­stellung Frauen von den Corsagen erlöste, die auch in der damaligen Wahrnehmung oft unangenehm zu tragen waren. 24 Während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war das Bild ein anderes. 1968 verbrannten Frauen in Deutschland ihre BHs, um sich gegen die patriarchale Unterdrückung zu wehren. 25 BHs hatten ihre befreiende Rolle offen­bar verloren. Schiesser wandte sich gegen diese Interpretation, als es 1974 mit einem Plakat und dem SloganFrei aber nicht haltlos. Das ist der Busen 1974 warb. 26 Historisch ist der BH nicht die erste Damenunterwäsche, die zu Debatten führte. 20 A. Hepp, Transkulturelle Kommunikation(= UTB, Bd. 2746). 2. Aufl. Konstanz, München 2014, S. 158–159; Nourzad, siehe Anm. 18, S. 40 f. 21 V. de Grazia(Hg.): The sex of things. Gender and consumption in historical perspective . 6. Aufl. Berkeley 2008. 22 Auslander, siehe Anm. 14. 23 G. de Landemer: Le carnet de fiançailles. Paris 1910; zitiert in Auslander, siehe Anm. 14, S. 96 . 24 A. Junker, E. Stille(Hg.): Zur Geschichte der Unterwäsche 1700–1960 . Publikation anlässlich der Ausstellung vom 28.04. 28.08.1988 im Historischen Museum Frankfurt. Frankfurt am Main 1988, S. 146 . 25 K. Schulz: Ohne Frauen keine Revolution. 68er und Neue Frauenbewegung. https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschich­te/68er-bewegung/51859/ohne-frauen-keine-revolution/(20.4.2024). 26 T. Schnabel: Auf nackter Haut. Leib, Wäsche, Träume. Publikation anlässlich der Ausstellung vom 22.05.2015 bis 31.01.2016 im Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Stuttgart 2015, S. 140.